Hinweis – der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Während meiner Beobachtungen sind mir drei unterschiedliche Strategien aufgefal­len, mit denen die Kinder sprachlichen Schwierigkeiten beim Verständnis von Auf­forderungen oder Texten, mit Fachtermini oder im Benennen von Dingen begegne­ten:

Gezieltes Nachfragen
Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 11. Januar 2007

In einer Deutschstunde bearbeiten die Schülerinnen Arbeitsblätter, bei denen es nach Informationen des Lehrers darum geht, die bisher gelernten Buchstaben zu wiederholen und zu festigen. In der Aufgabe soll markiert werden, wo der entsprechende Laut (u.a. ,e’ und ,ei’) zu hören ist: vorne, hinten oder in der Mitte. Mateiu wendet sich Anke (eine weitere Studentin) und mir zu, zeigt auf einen abgebildeten Regenschirm und fragt: „Wie heißt das hier in Deutsch?“ Nachdem er die Antwort ,Regenschirm’ be­kommen hat, arbeitet er selbstständig weiter.

Mateiu sieht in Anke und mir vermutlich Vertreterinnen der deutschen Sprache und fragt daher gezielt nach einem Wort auf Deutsch. Diese Übersetzung ermöglicht es ihm wahrscheinlich die gestellte Aufgabe zu bearbeiten. 

Rückgriff auf die Erstsprache
Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 8. Februar 2007

Francesca steht auf und geht mit ihrem Matheheft zu Chiara hin: „Du, Chiara? Ist das so richtig?“ Ihre Schwester wirft einen kurzen Blick auf Francescas Heft und antwortet in Italienisch mit „si“. Chiara zeigt auf ihr eigenes Heft und spricht in derselben Spra­che weiter. Es scheint, als würde sie ihrer Schwester etwas erklären. Kurze Zeit später geht Francesca wieder auf ihren Platz zurück und rechnet selbstständig weiter.

Anstatt den Lehrer zu Rate zu ziehen und ihre Unsicherheit zu offenbaren, zählt Francesca auf die Mithilfe ihrer Schwester. Nachdem ihr die gleichaltrige Chiara in der gemeinsamen Herkunftssprache die Aufgabe erklärt, ist es Francesca möglich die Aufgabe selbstständig zu bearbeiten.

Herleitung aus der Erstsprache
Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 11. Januar 2007

Auf einem Arbeitsblatt sind einige Buchstaben zu sehen, um die jeweils vier kleine Ab­bildungen gruppiert sind. Je zwei der vier Bilder beginnen mit dem Buchstaben in der Mitte und sind damit zu verbinden. Chiara beschäftigt sich gerade mit dem ,S’. Dabei murmelt sie: „S – insalata – hmm – Salat. Ja!“ und zieht eine Linie von dem Salatkopf zum ,S’.

Chiara leitet sich hier das deutsche Wort mithilfe ihres Wortschatzes in der italieni­schen Sprache her. Da sie einen Salatkopf abgebildet sieht, ihr aber das deutsche Wort nicht sofort einfallt, denkt sie offenbar an den italienischen Begriff ,insalata’. Anscheinend entdeckt sie darin die Parallele zu dem Begriff ,Salat’, denn sie spricht ihre Gedanken leise aus und bestätigt dann ihre Transferleistung (,Ja!‘). Abschlie­ßend verbindet sie durch eine Linie den Salatkopf mit dem ,S’ und scheint sicher zu sein, dass es die richtige Antwort ist. Hier wird deutlich, dass Chiara über eine ge­wisse Sprachbewusstheit verfugt, da sie während des Deutschunterrichts ihre Italie­nischkenntnisse als Hilfestellung verwendet und sich von dem italienischen Wort die deutsche Übersetzung herleitet. Chiara beweist hier einen kompetenten Umgang mit ihren Sprachen. Vielleicht ist ihr aufgefallen, dass das deutsche Wort in ,inSALATa’ vorhanden ist und im Italienischen das Präfix ,in’ sowie das Suffix ,a’ angehängt ist? Aus dieser Beobachtung lässt sich schließen, dass beide Sprachen ständig präsent sind, wenn auch nicht immer sichtbar.

Mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlages.
http://www.paedagogik.de/index.php?m=wd&wid=2196

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