Hinweis – der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Falldarstellung

Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 18. Januar 2007

Während ich mich in einer Stillarbeitsphase mit dem Lehrer unterhalte, kommt Adriano zu uns: „Ist das schwerisch?“ Da von uns keine merkliche Reaktion kam, fragt er noch einmal, diesmal mit mehr Nachdruck: „Ist das schwerisch?“ Der Lehrer antwortet: „Nein, das schaffst du, Adriano!“

Der Schüler hat das Wort ‚schwerisch’ kreiert, welches eine Mischung aus ,schwer’ und schwierig’ (im Koblenzer Platt/ʃwirǝʃ ausgesprochen) ist. Diese Wortneuschöpfung beruht insofern auf einem logischen System, als dass das Wort aus zwei existierenden Wörtern zusammengeschmolzen wurde.
Dem Lehrer scheint die Botschaft wichtiger zu sein als eine korrekte Aussprache, da er die Verletzungen der sprachlichen Norm ignoriert und Adriano Mut zuspricht. Da der italienische Schüler bisher wohl nicht in seiner fehlerhaften Aussprache korri­giert wurde, wird er voraussichtlich solange weiterhin dieses Wort verwenden, bis er eine Korrektur erfährt oder bis er bemerkt, dass kein anderer ,schwerisch’ sagt. Um in Zukunft eine Wiederholung dieses nicht existierenden Wortes zu vermeiden, hät­ten es in einem korrigierenden Feedback verbessern werden können (Schmidt- Schönbein 2001, S. 122). Das falsch Gesagte hätte so im selben Kontext korrekt wiedergeben können, ohne dabei den Schüler zu verletzen oder bloßzustellen: „Nein, Adriano, das ist nicht schwierig, das schaffst du!“ Auf diese Weise hätte der Schüler das richtige Wort gehört und wäre sich eventuell dem Unterschied in der Aussprache bewusst geworden. Es gilt jedoch abzuwägen, inwieweit eine Orientie­rung an der sprachlichen Norm für den einzelnen Schüler/ die einzelne Schülerin angebracht ist.

Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 1. Februar 2007

Adriano meldet sich, um das Ergebnis der nächsten Rechenaufgabe vorzulesen. Es sind ein 10-Euro-Schein und zwei 2-Euro-Münzen sowie eine 1-Euro-Münze abgebildet. Die Frage der Aufgabe lautet: ,Wie viel Euro sind es zusammen?’ Adriano wird drangenommen.
Adriano: „Zehn und fünf, ne, fünfzehn.“ Lehrer: „Fünfzehn Hühner?“ Einige Kinder lachen.
Adriano (überlegt kurz): „Ne, Geld. Fünfzehn Geld.“ Lehrer: „Fünfzehn Geld? Das ist nicht ganz richtig so. Mateiu? Mateiu: „Fünfzehn Euro.“

Adriano scheint Mühe zu haben, die Zahl korrekt auszusprechen. Als es ihm schließ­lich gelingt, sagt er nicht, um welche Einheit es geht. Anstatt die Anstrengungen des Schülers zu würdigen und ihm die Korrektheit der Zahl zu bestätigen, fragt der Leh­rer nach, ob es sich um 15 Hühner handelt. Diese provokante Nachfrage könnte je­doch bei Adriano ein Gefühl der Bloßstellung entstehen lassen, da mehrere Lacher seitens der Schülerinnen folgen. Adriano lässt sich von der Nachfrage nicht beirren und erkennt, dass es in der Aufgabe um Geld geht, was er erneut erklärt („Geld, 15 Geld“). Die gesuchte Antwort „15 Euro“ bleibt Adriano jedoch schuldig, da es von Mateiu benannt wird.

Der Lehrer greift die Worte von Adriano auf und erklärt, dass es so noch nicht ganz stimmt. Damit verlässt der Lehrer die mathematische Ebene und verlangt eine sprachliche Äußerung, die der Norm angepasst sein soll. Es geht nun nicht mehr um die Lösung der mathematischen Aufgabe, sondern um einen korrekten Begriff, der dem Schüler abverlangt wird. Der Lehrer nimmt schließlich einen anderen Schüler dran, der korrekterweise die Währung Euro angibt.

Auch bei Adrianos Mitschülerinnen mit anderer Erstsprache wurden Schwierigkei­ten mit der Benennung von Zahlen beobachtet. Insbesondere die italienischsprachi­gen Schüler, deren Zahlensystem von dem deutschen abweicht, bewegten sich im­mer wieder in der italienischen Zählweise. Um ihnen den Unterschied zwischen dem Deutschen und ihrer Erstsprache bewusst werden zu lassen, kann es sinnvoll sein, die Schülerinnen danach zu fragen, wie die Zahlen in ihrer Herkunftssprache be­nannt werden, zumal bereits im Mathebuch dazu Anlässe geboten werden (siehe unter Falldarstellung Monolingualismus im Klassenraum – trotz Sprachenvielfalt). Zur Veranschaulichung könnten beispielsweise die Zahlwörter in den verschiedenen Sprachen auf ein großes Plakat übertragen werden und die Zehner und die Einer in einer jeweils anderen Farbe markiert werden. Auf diese Weise wür­den Parallelen und Unterschiede zwischen dem Deutschen und den Familienspra­chen der Kinder hervorgehoben. Anhand dieser Übersicht hätte der Lehrer nun die Möglichkeit, zu erkennen, wo potentielle Fehlerquellen bestehen und könnte diese mit seinen Schülern thematisieren.

Literatur:

Schmidt-Schönbein, G. (2001): Didaktik Grundschulenglisch. Berlin: Cornelsen.

 

Mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlages.
http://www.paedagogik.de/index.php?m=wd&wid=2196

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