Dieser Fallkomplex besteht aus den Fällen (inklusive diesem):

 

Falldarstellung

Immer mehr Mädchen geben das Springen auf.

Ein Student und eine Studentin unterrichten eine Gruppe von Mädchen der 10. Klasse. Vier Mädchen sitzen ohne Sportzeug auf der Bank. Das Thema der Stunde ist Hochsprung. Es sind zwei Anlagen aufgebaut; an der einen leitet der Student die Mädchen an, an der anderen die Studentin. Zur Einstimmung besteht die Aufgabe darin, „irgendwie“ hochzuspringen, wobei alle Mädchen den Schersprung anwenden. Der Student sagt nun verschiedene Vorübungen für den Flop an und zeigt sie auch selbst. Zeitweilig macht er mit. Dennoch setzen sich immer mehr Mädchen seiner Teilgruppe auf die Bank oder davor, so daß sich dort ein Kreis bildet, der sich deutlich vom Unterrichtsgeschehen abwendet und sich unterhält. Der Student geht nun eher als geplant zum Flop insgesamt über. Eine Zeitlang beteiligen sich wieder mehr Schülerinnen am Springen. Der Lehrende steht an der Hochsprungmatte, beobachtet die Bewegungen und versucht, einzelne Mädchen zu korrigieren. Diese jedoch gehen entweder, ohne ihn überhaupt zu beachten, wieder an ihren Platz zurück, oder hören nur sehr widerwillig zu. So läuft ein Mädchen mit langen, langsamen Schritten an, springt wenig kraftvoll ab und landet ohne Drehung um die Längsachse auf der Matte. Beim Sprung reißt sie die Schnur herunter. Sie bleibt noch eine Weile lachend auf der Matte liegen. Als sie aufsteht, sagt der Lehrer zu ihr:

L: Du springst mit zu wenig Explosivität.
S: (bissig) Was verstehst du denn unter Explosivität?
L: Du mußt zum Schluß schneller werden, du mußt die Geschwindigkeit halten, versuchen zumindest.
S: O.k. (verdreht die Augen und geht zum Anlauf zurück).

Immer mehr Mädchen geben das Springen auf. Nach wenigen Durchgängen sind nur noch zwei übrig, die sich am Flop versuchen.
Auf der anderen Seite unterhält sich die Studentin mit den Schülerinnen, während sie zum Springen anstehen. Nach einer Weile werden hier verschiedene Sprungstile wie Straddle oder Schersprünge ausprobiert. Die Mädchen versuchen auch, ob sie nicht mit einer Flugrolle über die Leine kommen. In dieser Teilgruppe ist die Beteiligung hoch.

Interpretation

Erste Auslegung

Das Problem, daß Schülerinnen und Schüler sich vom Unterrichtsgeschehen zurückziehen, sich distanzieren oder verweigern, eben nicht „mitmachen“, beschäftigt Lehrende häufig. Es ist ein oft zu beobachtendes Phänomen im Sportunterricht, allein deshalb, weil die Nichtbeteiligung im Gegensatz zu anderen Fächern sofort offenbar wird.[1]  So auch in diesem Fall. Der Lehrer (bzw. der unterrichtende Student) kann nicht übersehen, daß der Gesprächskreis der Mädchen auf seiner Seite der Halle immer größer wird, während immer weniger Schülerinnen hochspringen. Diejenigen, die nicht mehr springen wollen, vertuschen dies nicht einmal, indem sie sich z.B. in die Warteschlange stellen, aber doch anderen den Vortritt lassen, sondern zeigen ihr Desinteresse sehr offen. Sie beschäftigen sich anderweitig und wenden sich auch im wörtlichen Sinne vom Unterricht ab, indem sie sich mit dem Rücken zum Lehrer und zur Sprunganlage hinsetzen. Man fühlt sich bei diesem Bild durchaus an einen Sitzstreik erinnert – kein offiziell ausgesprochener oder gar organisierter Streik, aber dennoch ein wirkungsvoller. Der „Arbeitgeber“ –  um im Bild zu bleiben – sieht sich zu einem Kompromiß veranlaßt. Anstatt seine Vorübungen weiter durchzuführen, verspricht er interessantere Arbeitsbedingungen: der Flop als ganze Bewegung darf jetzt gesprungen werden. Damit kann der Streik zum Teil aufgelöst werden, bis aber nach kurzer Zeit dasselbe Verhalten der Mädchen eintritt wie schon bei den Vorübungen. Der Unterricht kommt beinahe zum Erliegen, wenn nicht zwei Mädchen noch den Anschein von Übungsbetrieb aufrecht erhielten. Nun kann man sicherlich nicht einzig und allein das aktuelle Verhalten des Lehrers dafür verantwortlich machen,[2]  aber meiner Ansicht nach tragen seine Korrekturen doch erheblich dazu bei, daß die Mädchen die Lust am Springen verlieren. Der Fall läßt sich unter die Norm „Beachte die Nebenwirkungen der Korrektur“ subsumieren. Inwiefern sie verletzt wird, soll im folgenden dargestellt werden.

Zwei Indizien sprechen dafür, daß die Schülerinnen nicht grundsätzlich desinteressiert sind: als sie anfangs springen dürfen, wie sie wollen, ist die Beteiligung hoch. Alle benutzen die Technik des Schersprungs, eine Bewegungslösung, die für Untrainierte sehr geeignet ist, weil sie wenig mit Angst besetzt ist und Alltagsbewegungen noch recht nahe steht. Aber auch später noch lassen sich viele Mädchen zum Mitmachen bewegen, nämlich als sie den Flop insgesamt probieren dürfen. Dann jedoch greift der Lehrer mit seinen Korrekturen ein. Vermutlich sind seine Korrekturen wirklich gut gemeint, um den Mädchen zu einer Verbesserung ihrer Floptechnik zu verhelfen. Die Wirkung ist allerdings eine andere; die Mädchen geben das Springen ganz auf. Sie haben wahrscheinlich die nicht unberechtigte Erwartung, daß sie den Flop zunächst für sich ausprobieren können. Sie wollen unbehelligt vom Lehrer springen, sich an die Sache selbst wagen, ohne sofort wieder reglementiert zu werden. Ohne die genauen Vorschriften, die es für die Vorübungen gab, erscheint ihnen das Springen immerhin so lohnenswert, daß sie ihren etablierten Gesprächskreis verlassen. Die Korrekturen des Lehrers jedoch ersticken das kurz aufflackernde Interesse im Keime, wozu deren negative Formulierung sicherlich beiträgt („Du springst mit zu wenig Explosivität“). Als erste Information kommt bei der Schülerin an, daß sie den Anforderungen nicht genügt. Eine derartige Einleitung kann schon ausreichen, um eine erfolgreiche Korrektur zu verhindern und das Gegenteil zu bewirken.

Auf der anderen Seite der Halle verfolgt die Lehrerin (bzw. die unter-richtende Studentin) einen anderen Weg: sie gibt ihre Orientierung an der Sache und ihrem Unterrichtsziel zugunsten der Schülerinnen und deren Beteiligung am Unterricht auf. Anstatt es gegen den Widerstand der Lernenden weiter mit dem Flop und dessen Technikmerkmalen zu versuchen, erweitert sie die Bewegungsmöglichkeiten für die Mädchen. Sie können verschiedene Sprünge ausprobieren, was für sie anscheinend reizvoller ist als an der Verbesserung einer genormten Technik zu arbeiten. Auch steht die Lehrerin in einem anderen Kontakt zu den Mädchen. Im Gegensatz zu ihrem männlichen Pendant verharrt sie nicht auf ihrer Beobachtungsposition, sondern mischt sich unter die Mädchen und sucht das Gespräch mit ihnen. Während der Lehrer an seinem sachorientierten Unterricht festhält – wozu ja auch die Korrekturen passen – stellt die Lehrerin ihr ursprüngliches Konzept hintan und orientiert sich an den Schülerinnen und deren Voraus-

Setzungen und Interessen. In unserem vorliegenden Fall spielen die Geschlechterkonstellationen und das Alter der Mädchen eine wichtige Rolle: ich denke, daß die Lehrerin sich wesentlich besser in die Mädchen hineinversetzen kann und es daher auch leichter hat, einen Weg zu finden, den Unterricht auf sie auszurichten. Andererseits könnte man auch vermuten, daß die Mädchen von sich aus eher Vertrauen zu ihr als zu dem Lehrer haben; es ist für sie weniger problematisch, sich vor einer Frau zu bewegen als vor einem Mann. Insofern halte ich es nicht für einen Zufall, wie sich der Unterricht auf den beiden Seiten der Sporthalle entwickelt hat.

Erweiterte Auslegung

Wäre eine solche Hochsprungstunde mit einer Gruppe von Jungen ähnlich verlaufen? Mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit kann man diese Frage verneinen. Sie hätten sich vermutlich nicht dem Unterricht entzogen, hätten keinen Gesprächskreis gebildet, sondern vielleicht gefordert, die Latte höher zu legen. Selbstverständlich gibt es keine Gewißheit darüber, wie die Szene tatsächlich abgelaufen wäre, aber das Gedankenexperiment führt uns zur Kategorie „Geschlecht“, die für die Klärung des Falles von zentraler Bedeutung ist. Forschungen zum (Bewegungs-)Verhalten von Mädchen machen plausibel, warum der Lehrer mit seinem Vorgehen scheitert. Dazu sollen die nächsten drei Abschnitte Hintergrundwissen vermitteln. Sie betreffen erstens allgemeine Motivationsunterschiede zwischen Frauen und Männern, zweitens kulturelle und Sozialisationsfaktoren im Sport und drittens (als Folgerung aus den vorangehenden Abschnitten) die besonderen Probleme, die die Sportart Leichtathletik für Mädchen in der Pubertät mit sich bringt.

Nicht nur im Sport, sondern als allgemeine Grundhaltung lassen sich im Bereich der Motivation wichtige Unterschiede zwischen Männern und Frauen feststellen. Empirische Untersuchungen haben ergeben, daß Frauen sich in ihrem Selbstbewertungssystem von Männern unterscheiden: Während Frauen Erfolg eher als zufälliges Ereignis betrachten, das auf variablen Ursachen beruht, machen Männer, die Erfolg meist als konsistent ansehen, dafür stabile und interne Ursachen verantwortlich. Genau umgekehrt verhält es sich bei Mißerfolgserlebnissen: Männer neigen dazu, sie auf variable Uraschen zurückzuführen, Frauen dagegen auf stabile, interne (vgl. RUSTEMEYER, 1988, S. 121). Gerade für die Leistungsmotivation und Anstrengungsbereitschaft sind diese Befunde bedeutsam. Wer seine Erfolge auf interne Faktoren wie z.B. Begabung und Anstrengung zurückführt, wird eher Erfolgserwartungen haben und positiv motiviert sein als jemand, der seine Erfolge durch von der eigenen Person unabhängige Einflüsse verursacht sieht. Die Erwartung von Erfolg oder Mißerfolg wirkt sich auch auf die Intensität und Dauer von Leistungshandlungen aus (vgl. GABLER, 1986, S. 82).

Insgesamt kann man schließen, daß Frauen und Mädchen eine ungünstigere Selbstbewertung haben, wenn es um Leistungshandlungen geht, und daß daraus eine geringere Motivation in leistungsthematischen Situationen resultiert.[3]  Mißerfolge sind mit unangenehmen Gefühlen wie Betroffenheit, Unzufriedenheit oder Ärger verbunden, und das umso mehr, je mehr sie als persönliches Versagen gewertet werden (vgl. GABLER, 1986, S. 82). Da Frauen und Mädchen dazu eher neigen als Männer und Jungen, ist es verständlich, daß sie sich leistungsthematischen Situationen weniger gern stellen oder ihre Anstrengungen früher beenden. Mit der Sprache der Motivationspsychologie ausgedrückt: das Muster der Kausalattribution, das vornehmlich Frauen und Mädchen entwickeln, kann für Anstrengungsvermeidungen verantwortlich sein – GABLER (1986, S. 103) weist darauf hin, daß eine solche Erklärung des Verhaltens nicht zu vergleichen ist mit dem Alltagsbegriff „faul“.

Man kann vermuten, daß der Lehrer eine unzutreffende oder lückenhafte Vorstellung davon hat, mit welchen Voraussetzungen Mädchen in den Sportunterricht kommen. Mädchen werden generell[4] weniger mit sportvermittelnden Instanzen konfrontiert als Jungen; so haben sie z.B. in der Familie weniger Bewegungsmöglichkeiten und Bewegungsraum als Jungen, was wiederum bedeutet, daß Schülerinnen und Schüler schon sehr unterschiedlich in die Schule kommen (vgl. GIESS-STÜBER, 1992, S. 98). Zudem ist der Sport unserer Gesellschaft von Männern begründet worden und dadurch geprägt; daher sind seine Merkmale – absolute Leistung, Konkurrenz, Spezialisierung, Selektion, Effizienz, Meßbarkeit und Reglementierung – an den Lebensbedingungen von Männern orientiert. Frauen, die eine „weibliche“ Rolle ausführen, können sich darin kaum behaupten, da ihre Interessen nur wenig vertreten sind. Der Sport, so wie er in unserer Gesellschaft ausgeübt wird, kollidiert sozusagen mit der eigenen Körperlichkeit (ebd., S. 100), denn die Norm ist das „Männliche“, von dem das „Weibliche“ meist in defizitärer Weise abweicht (ebd., S. 101 und KUGELMANN, 1991, S. 18). Der Sportunterricht kann diese Tendenz noch zusätzlich bestärken, denn er „rückt die einzigen tatsächlich naturgegebenen, morphologischen Geschlechtsunterschiede in das Blickfeld. Abhängig von den Unterrichtsinhalten wird eine Unterlegenheit‘ der Mädchen produziert und betont, die leicht verallgemeinert wird und zur Tradierung klischeehaften Rollendenkens verleitet“ (GIESS-STÜBER, 1992, S. 99).

Für Mädchen kann sich daraus ein Konflikt ergeben: „kraftmeierisch ist eben nicht weiblich; ungelenkig, plump, ungrazil oder schlaff und kraftlos ist eben nicht sportlich“ (KUGELMANN, 1991, S. 20). Eine häufige Strategie, mit der sich Mädchen aus der Zwickmühle retten, besteht darin, sich dem Unterricht zu entziehen oder ihn zu unterlaufen.

Speziell gegenüber der Leichtathletik, die sich im Grundschulbereich noch großer Beliebtheit erfreut, entwickeln Mädchen mit Beginn der Pubertät häufig eine Abneigung. Nach DOMBROWSKI (1993) hängt dies auf der einen Seite mit den Anforderungen der Sportart zusammen und mit den körperlichen Veränderungen durch die Pubertät auf der anderen. Leichtathletik ist eine Konditionssportart, bei der die Schnellkraftfähigkeiten dominieren; ihre Bewegungsziele sind resultatorientiert, die Techniken gehören zu den geschlossenen Fertigkeiten. Als Individualsportart kann sie „gnadenlos“ sein, denn Stärken und Schwächen der einzelnen Schülerin liegen offen zu Tage und sind sofort ersichtlich. Schließlich fordert Leichtathletik fast immer eine hohe Anstrengungsbereitschaft, denn ohne hohe Intensität auch beim Üben lassen sich die Techniken kaum ausführen (vgl. DOMBROWSKI, 1993, S. 28/29). Diesen Strukturmerkmalen der Sportart steht die körperliche Entwicklung von Mädchen in der Pubertät entgegen. Der natürliche Leistungszuwachs stagniert bei ihnen eher als bei den Jungen, weil das Längenwachstum schon früher abgeschlossen ist, aber trotzdem noch eine Gewichtszunahme eintritt. So kann es bei Mädchen schon mit 14 Jahren zu einer „Rückentwicklung“ kommen, wenn sie nicht systematisch trainieren; besonders die Sprint- und Sprungleistungen gehen zurück. Da Leichtathletik mit ihren meßbaren Ergebnissen diese „Schwächen“ offenlegt, entwickeln viele Mädchen Vermeidungsstrategien, um ihr Selbstwertgefühl zu schützen (ebd., S. 30).

Vermutlich haben Sie als Leserin oder Leser schon Ihre Rückschlüsse auf den vorliegenden Fall gezogen. Dennoch möchte ich das Allgemeine, das in den drei letzten Absätzen dargestellt wurde, mit dem Besonderen ausdrücklich in Beziehung setzen. Gäbe man sich mit dem äußeren Anschein der Hochsprungstunde zufrieden, könnte man sagen, die Mädchen seien einfach zu faul, um am Unterricht teilzunehmen. Mit Blick auf die unterschiedlichen Motivationslagen von Frauen und Männern kommt man aber wohl zu dem Ergebnis, daß der Lehrer –  sicher, ohne es zu wollen – die Mädchen durch seine Korrekturen und sein Beharren auf der Norm in ihrem ungünstigen Selbstbewertungssystem bestärkt hat. Die Korrekturen, die zudem noch negativ formuliert sind, bestätigen die Erwartungen der Mädchen, nämlich daß Mißerfolge in ihrer eigenen Unfähigkeit begründet liegen. Ihre Reaktion erscheint daher in einem ganz anderen Licht: sie ist angemessen, um unangenehme Gefühle des Versagens zu vermeiden. Da der Lehrer mit dem Hochsprung eine Disziplin der Leichtathletik ausgewählt hat, die sehr auf konditionelle Voraussetzungen angewiesen ist – speziell auf das Last-Kraft-Verhältnis, das sich während der Pubertät bei Mädchen meist ungünstig  entwickelt – sind noch eher Mißerfolge zu erwarten als z.B. in den Wurfdisziplinen. Schon ohne verbessernde Eingriffe einer Lehrperson befinden sich die Mädchen in einer heiklen Lage, deren Tendenz eher zur Vermeidung einer solchen leistungsthematischen Situation geht. Wenn man so will, sind die Korrekturen des Lehrers nur noch die Tropfen, die das Faß zum Überlaufen bringen.

Lösungsmöglichkeiten

Interessanterweise liefert uns der Fall eine Lösungsmöglichkeit gleich mit. Offensichtlich kann sich die Studentin, die in der anderen Hallenhälfte unterrichtet, besser vorstellen, wie sich Mädchen dieser Altersgruppe verhalten. Zumindest verzichtet sie auf ihr Lehrziel der Bewegungsoptimierung zugunsten der Motivation und Bewegungsfreude der Schülerinnen. Ihre

Priorität – und ich hätte sie ebenso gesetzt – liegt darauf, daß die Schülerinnen überhaupt hochspringen und Bewegungserfahrungen machen anstatt daß sie widerwillig (oder eben gar nicht, weil sie sich entziehen) eine einzige der möglichen Hochsprungtechniken erlernen. Zu überlegen ist ohnehin, ob es im Schulsport immer der Flop sein muß, der als die Technik schlechthin vermittelt wird. Da die Mädchen bei den ersten Sprüngen alle die Schertechnik benutzten, hätte man auch an dieser durchaus zweckmäßigen Bewegungslösung Weiterarbeiten können. Man hätte diese Entscheidungen noch nicht einmal allein treffen müssen; im Gespräch mit den Mädchen hätte wahrscheinlich eine sinnvolle Lösung gefunden werden können. Durch die Beteiligung an der Auswahl der Inhalte hätte man vermutlich auch mehr Beteiligung beim Springen erzielt.

Will man am Ziel der Verbesserung des Flops festhalten, was ja ein durchaus zu rechtfertigendes Anliegen ist, so müßte allerdings die Art und Weise der Rückmeldung und Korrektur anders gestaltet werden, um der Motivationslage der Schülerinnen gerecht zu werden. Anstatt negativ zu formulieren: „Du springst mit zu wenig Explosivität“ könnte man folgenden Hinweis geben: „Du kannst die Höhe schaffen, wenn du bei den letzten drei Schritten mehr Tempo machst.“ Weiterhin wäre denkbar, die Korrektursituation (speziell die Konstellation Lehrer-Schülerin) dadurch zu entschärfen, daß zwei oder drei Mädchen eine Gruppe bilden, die sich gegenseitig beobachtet und korrigiert. Voraussetzung wäre allerdings, daß die Schülerinnen vorher eine gewisse Korrekturfähigkeit erworben haben müßten, was über den Rahmen einer einzigen Sportstunde natürlich hinausgeht.

Fußnoten:

[1] Ich möchte an dieser Stelle nicht ausführlich darauf eingehen, inwieweit die aktive (sichtbare) Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler am Sportunterricht eine Norm für unterrichtliches Handeln sein sollte. In dem vorliegenden Fall sind die Mädchen, die eindeutig nicht mehr am Unterrichtsgeschehen teilnehmen, in der Überzahl. Damit ist aus meiner Sicht klar die Grenze überschritten. Zu dem Problem der Beteiligung vgl. die Fälle „Ein Völkerballspiel“ und „Trampolinspringen“ bei SCHERLER (1992 a).

[2] Schon vor Beginn des Unterrichts sitzen vier Mädchen auf der Bank, die nicht teilnehmen. Selbst wenn die Gründe dafür, nicht am Sportunterricht teilzunehmen, hier nicht festgestellt werden können, liegt doch die Vermutung nahe, daß sie zumindest auch mit langfristigen Motivationsproblemen Zusammenhängen; s. dazu die erweiterte Auslegung.

[3] Was nicht heißt, daß dies zwangsläufig so ist. Es geht mir hier darum, die allgemeine Tendenz aufzuzeigen, zu der auch folgender Befund paßt. Nach einer Längsschnittstudie von HORSTKEMPER (1987) zeigen Schülerinnen trotz besserer Schulleistungen ein niedrigeres Selbstwertgefühl und neigen zu geringeren Leistungsselbsteinschätzungen als Schüler. „Der Erfolg, den sie hinsichtlich der erzielten Abschlüsse und Noten verzeichnen können, steht in erheblicher Diskrepanz zu dem im Vergleich zu den Jungen weit weniger ausgeprägten Selbstvertrauen, das sie während der Schulzeit aufbauen können“ (ebd., S. 218).

[4]  Zwei Bemerkungen sind hierzu nötig: Erstens gibt es große interindividuelle Unterschiede. Zweitens liegt geschlechtstypisches Bewegungsverhalten nicht im „Wesen“ von Männern und Frauen begründet, sondern konstituiert sich durch morphologische Unterschiede und Kultureinflüsse. Die Geschlechtsrollen wandeln sich also mit den gesellschaftlichen Veränderungen (vgl. GIESS-STÜBER, 1992, S. 97).

Quelle:

Wolters, P. (1999). Bewegungskorrektur im Sportunterricht. Schorndorf: Hofmann.

Mit freundlicher Genehmigung des Hoffman Verlages.

https://www.hofmann-verlag.de/

Literaturangaben:

DOMBROWSKI, O. (1995). Die Fehlerkorrektur – ein häufig unterschätztes Problem. Leichtathletiktraining, 6 (7), 13-15.

GABLER, H. (1986). Motivationale Aspekte sportlicher Handlungen. In H. GABLER, J.R. NITSCH & R. SINGER, Einführung in die Sportpsychologie. Teil 1: Grundthemen (S. 64-106). Schorndorf: Hofmann.

GIESS-STÜBER, P. (1992). Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Möglichkeiten und Grenzen für die Persönlichkeitsentwicklung von Mädchen im Sportunterricht. In R. ERDMANN (Hrsg.), Alte Fragen neu gestellt – Anmerkungen zu einer zeitgemäßen Sportdidaktik (S. 97-110). Schorndorf: Hofmann.

HORSTKEMPER, M. (1987). Schule, Geschlecht und Selbstvertrauen. Weinheim, München: Juventa.

KUGELMANN, C. (1991). Mädchen im Sportunterricht heute – Frauen in Bewegung morgen. Sportpädagogik, 15 (4), 17-25.

SCHERLER, K. (1992 a). Elementare Didaktik (2. Aufl.). Weinheim, Basel: Beltz.

RUSTEMEYER, R. (1988). Geschlechtsstereotype und ihre Auswirkungen auf das Sozial- und Leistungsverhalten. Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 8 (2), 115-129.

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