Hinweis – Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Matthias[1], ein Schüler aus der dritten Klasse, nahm an der Förderung teil, weil er – so seine Lehrerin – mit Subtraktionsaufgaben Schwierigkeiten habe. Sie hatte be­obachtet, dass er manche Aufgaben richtig, andere wiederum falsch löste, ohne jedoch an den Fehlern ein Fehlermuster oder ein bestimmtes Prinzip zu erkennen. Einige Male hatte die Lehrerin Matthias gebeten, sein Rechnen zu beschreiben. Seine Äußerungen lieferten ihr keine hinreichende Erklärung für sein teilweise feh­lerhaftes Vorgehen. Also kam Matthias zur Förderung mit dem Ziel, Subtraktions­aufgaben zu üben. An dieser Stelle begann die Arbeit einer Studentin. Zunächst gab sie dem Schüler die Aufgabe, 557 – 372 zu rechnen. Sie bat ihn zu erklären, wie er rechnet:

 „Zwei plus fünf ist gleich sieben, schreibe fünf hier unten hin. Jetzt muss ich sieben plus wie viel ist gleich fünfzehn rechnen, weil wir bei den großen Zahlen das immer so machen, dass wir aus der fünf eine fünfzehn machen. Dann sind es acht. [Er schreibt acht hin.] Dann müssen wir eine eins zu den anderen Zahlen schreiben. [Er überlegt, ob er die Merkzahl zum Minuenden oder zum Subtrahenden schreiben soll.] Jetzt muss ich — glaub ich – vier plus eins gleich fünf rechnen und die eins noch schreiben.“

An Matthias’ Erklärung ist zu erkennen, dass er mit den Zahlen rechnet, ohne wirk­lich verstanden zu haben, was er beim Übertrag der schriftlichen Subtraktion wirk­lich tut. Diese Verständnislücke sollte mit der Förderung geschlossen werden. Die Studentin erklärte dem Schüler, dass sie die Aufgabe noch mal rechnen und dabei ein Material nutzen wollen. Sie zeigte ihm einen Schulabakus und erläuterte seine Funktionsweise. Außerdem erinnerte sie den Schüler daran, dass Subtraktionsaufga­ben nicht nur durch Ergänzen gelöst werden können[2].

Danach ließ die Studentin den Schüler die Aufgabe mit Hilfe des Materials legen. Der Minuend wurde mit blauen Plättchen, der Subtrahend mit roten Plättchen gelegt. Ein Auszug aus dem Gespräch gibt einen Einblick in das weitere Vorgehen.

Studentin: So viele rote Plättchen, wie liegen, musst du von den blauen wegnehmen.
Schüler: Das geht nicht. Hier liegen zu wenig Plättchen [zeigt auf die fünf
Plättchen des Minuenden].
Studentin: Was machst du jetzt?
Schüler: Ich muss aus der fünf eine fünfzehn machen.
Studentin: Warum?
Schüler: Das machen wir so bei solchen Zahlen.
Studentin: Wie kannst du das machen?
Schüler: [schaut auf das Material und zuckt nach einiger Zeit mit den Schultern]
Studentin: Wir können aus dieser fünf eine fünfzehn machen, wenn wir zehn Plättchen dazulegen. Und wenn wir zehn Zehner hier oben dazu tun [zeigt auf die Plättchen des Minuenden], müssen wir einen Hunderter — das sind ja zehn Zehner – hier unten dazulegen [zeigt auf die Plättchen des Subtrahenden], damit es wieder stimmt.

Dass Matthias dieses Vorgehen nicht nachvollziehen konnte, zeigte seine Nachfrage „Wo kommen denn diese zehn Plättchen [er meint die hinzugelegten Plättchen des Minuenden] jetzt her?“

Matthias hatte die Erweiterungstechnik zur Behandlung des Übertrages nicht verstanden. Ihm war nicht klar, dass das gleichsinnige Erweitern von Minuend und

Subtrahend am Ergebnis nichts verändert. Mehrfach bemühte sich die Studentin, ihm dies an Beispielen zu erklären. Matthias fragte jedoch jedes Mal nach, wo denn die zehn Plättchen herkommen, schließlich würden sie nicht zur Aufgabe gehören. Diese unbeantwortete Frage beschäftigte ihn so sehr, dass die Studentin den Förderunterricht an dieser Stelle beendete und Matthias den Ausblick gab, in der kommen­den Stunde die Aufgabe nochmals zu rechnen.

Nachdem in der Student/innen-Gruppe über obiges Beispiel reflektiert und verschie­dene Alternativen für das weitere Vorgehen aufgezeigt wurden, entschied sich die Studentin dafür, dem Schüler eine andere Übertragstechnik zu vermitteln. Sie ent­schloss sich, ihm das Entbündeln zu zeigen. Im Rückblick auf ihr Vorgehen schreibt sie: „Auf der einen Seite hoffte ich, ihm so zeigen zu können, dass wir zehn Plätt­chen auch von innerhalb bekommen können, auf der anderen Seite fürchtete ich. dass ich Matthias mit dem anderen Weg verwirren würde.“ Sie zeigte ihm das Prin­zip des Entbündelns, was Matthias offensichtlich einleuchtete und was er verstand denn er löste in der Förderstunde noch einige Subtraktionsaufgaben auf diese Weist richtig.

Auf der handlungsorientierten Ebene scheint der Schüler das Vorgehen verstanden zu haben, allerdings ist bei diesem Beispiel die Handlung begleitende Dokumentation on noch nicht thematisiert worden, die im speziellen Fall eine andere Notation de: Übertrages mit sich bringt.

Fußnoten:

[1] Der Name wurde geändert, um die Anonymität des Schülers zu wahren.

[2] Während des Projektes wurde mit den Schüler/innen mehrfach erörtert, dass Subtraktionsaufgaben durch Ergänzen mit der plus-Sprechweise oder durch Abziehen bzw. Wegnehmen mit der minus-Sprechweise gelöst werden können.

Mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlages.
http://www.paedagogik.de/index.php?m=wd&wid=1307
 

Nutzungsbedingungen:
Das vorliegende Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, bzw. nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt – es darf nicht für öffentliche und/oder kommerzielle Zwecke außerhalb der Lehre vervielfältigt, bzw. vertrieben oder aufgeführt werden. Kopien dieses Dokuments müssen immer mit allen Urheberrechtshinweisen und Quellenangaben versehen bleiben. Mit der Nutzung des Dokuments werden keine Eigentumsrechte übertragen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.