Hinweis – Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Nach einer Intervention durch die Lehrperson hat die Gruppe schließlich auch die vorgesehene Lösung „gefunden“ und dazu einige vorbereitete Zusatzaufgaben ge­löst. Als nächster Arbeitsschritt ist auf dem Arbeitsblatt nun vorgegeben: Erklärt euch noch mal gegenseitig, wie ihr vorgegangen seid. In dieser Arbeitsphase erklä­ren Nele, Charline, Jens und Jamal nacheinander in der aufgezählten Reihenfolge, wie sie die Lösung gefunden haben. Bemerkenswert ist, dass alle Kinder zunächst als die Ausgangssituation von der Lehrerin eingebrachte „Problemgeschichte“ auf­greifen. Weiterhin weisen die Kinder die verschiedenen Lösungsansätze aus der ersten Phase immer einzelnen Lernenden zu: Die Idee, die Würfel zu nummerieren, wird durchgängig Jens zugeschrieben, die Ziellösung im Bauplan hat den Kindern zufolge Charline entdeckt. Jamals Lösungsidee wird nie erwähnt. Dieses Vorgehen wird zwar von Nele kritisiert (ja das find ich irgendwie dumm\ weil dann merken die oh die Nele und der Jamal haben ja gar nicht mitgedacht die sind auf gar nichts gekommen\), aber schließlich entscheidet die Gruppe, Charline und Jens weiter ex­plizit zu erwähnen. Die Kinder „erzählen“ sich gegenseitig, wie sie bei der Lösung vorgegangen sind (vgl. zur Narration im Lernprozess Krummheuer 1994) und ent­scheiden, dieses Vorgehen auch in den Stammgruppen zu übernehmen. Rezeptions­theoretisch sind die einzelnen Erklärungen dadurch gekennzeichnet, dass jeweils ein(e) „Hauptsprechende(r)“ einen Probevortrag präsentiert und die anderen Kinder als Zuhörer adressiert. Dieser Zuhörerstatus nimmt in einer Rahmenverschiebung (Goffman 1974) die spätere Situation in der Stammgruppe vorweg und kann relativ reibungslos von beiden Seiten in Richtung Gesprächspartnerschaft aufgelöst werden. In folgender Sequenz wendet sich Charline zu Beginn ihres Probevortrags fragend an Nele:

Sowohl Nele als auch Jens reagieren auf diesen Rahmenwechsel, den Charline in ihrem nächsten Redezug gleich wieder zurücknimmt. Allerdings wird der Rahmenwechsel von gespielten Vortragssituation hin zur Metakommunikation über diesen Vortrag auch von der Zuhörerseite vollzogen, beispielsweise um die Ausführungen der Vortragenden zu korrigieren (Nele kritisiert Charline, die in ihrer Erklärung über die für das Gebäude benötigten sechs Würfel hinaus zählt: geht doch gar nicht/ weil ne Sieben gibt’s doch gar nicht wenn da nur bis sechs\). Diese Einwürfe werden von den Vortragenden aufgegriffen, der Probevortrag entsprechend korrigiert und somit auch die Legitimität der Einwürfe angezeigt.

Der Disput über die Zuschreibung der Lösungen zu einzelnen Personen hebt sich deutlich von diesem Rezeptionsmuster ab; hier sprechen sich die Kinder jeweils als Gesprächspartner an, wenn auch in wechselnder Gruppierung (z.B. Charline: habt ja auch selbst was gesagt\ aber was habt ihr noch mal gesagt/ und die Reaktion von Nele: nur ihr habt was gesagt\). Diese Sequenz wird in der Interaktion als separate Metakommunikation durch eine öffnende Äußerung von Nele markiert (okay/ jetzt mag ich aber mal Widerwort geben/) und schließlich von Jens wieder beendet, der im Anschluss seinen Probevortrag präsentieren möchte ([seufzt] jetzt bin ich ne/ [baut das Model auf]). Damit unterscheidet sich diese metakommunikative Sequenz, die eher das Gesamtgeschehen der Gruppenarbeit reflektiert, auch auf der rezeptionstheoretischen Seite von den in den einzelnen Vorträgen eingebundenen meta­kommunikativen Anmerkungen.

Literaturangabe

Krummheuer, Götz (1997): Narrativität und Lernen. Mikrosoziologische Studien zur sozialen Konstitution schulischen Lernens. Weinheim: Beltz – Deutscher Studien Verlag.

Mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlages.

http://www.paedagogik.de/index.php?m=wd&wid=1911

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