Hinweis – Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Lina, Viertklässlerin, besucht seit der ersten Klasse die Freie Schule und ist von daher vertraut mit der Wochenplanarbeit, weil diese in der beschriebenen Form bereits ab der ersten Klasse stattfindet.

Lina wirkt beim Vorbereiten ihres Planes sehr routiniert und scheint nach konkreten Mustern vorzugehen. Im Interview erklärt sie:

„… also erst mach ich das Lineal quer und dort sozusagen einen Zentimeter zum Rand und dann noch einen Zentimeter für die Zahlen und auf der anderen Seite noch einen Zentimeter für den Rand und einen zum Abkreuzen und dann verbinde ich die und dann kommt das andere eben. Ja, und dann schreib ich ein.“

An dieses feste Muster hält Lina sich bereits seit Anfang der dritten Klasse, wie ein Blick in ihr Wochenplanbuch erkennen lässt:

Die linke Spalte wird generell von 0 bis 9 durchnummeriert, unabhängig von der Anzahl der Planungsaufgaben. Da Lina die Zeilen der Tabelle zwei Zentimeter hoch einzeichnet, finden sich zehn Zeilen in ihren Plänen. Die erste, mit 0 gekennzeichne­te Zeile beinhaltet die vorgegebene Überschrift „Wochenplan“, ergänzt durch die finnische Bezeichnung für Woche: Wiikko und das aktuelle Datum. Zudem nutzt Lina bisweilen die untere verbleibende Zeile, um zusätzliche Informationen einzu­tragen. Das Zeichnen des Planes beginnt Lina im Beobachtungszeitraum bereits vor Beginn der Arbeitsphase. So kann sie zu Beginn der Stunde unverzüglich mit dem Eintragen ihrer Aufgaben beginnen. In einem Gespräch erklärt sie ihre Aufgaben­wahl der anstehenden Woche:

„Also, die Mathekartei muss ich machen, weil mir meine Mami gesagt hat, dass ich zu wenig Mathe gemacht habe und zu viel Deutsch, obwohl ich das schon gut kann. War auch so. (lacht) Aber bis zum Ende des Schuljahres werde ich die nie schaffen. Naja und die Deutschkartei muss ich eigentlich nicht machen, aber das macht eben so viel Spaß. Das ist eher so mein Hobby. Für das Sternenbrett brauche ich eigentlich noch ei­ne Einführung von Anne, aber die ist krank und Eva kann das noch nicht. Ich hab trotz­dem schon mal angefangen. Geht auch so ganz gut. Ja und Lesen ist für mich Freizeit, das mach ich einfach nur gern und um zu entspannen und so. Wie die Deutschkartei.“

Lina geht die verschiedenen Eintragungen ihres Wochenplans durch und erläutert sehr differenziert den jeweiligen Hintergrund. Dabei wird deutlich, dass in ihrer Planung ganz unterschiedliche Instanzen und Kriterien eine Rolle spielen. So zeigt sich, dass außer den Lehrerinnen auch ihre Mutter ein Auge auf ihre Planungen hat und korrigierend eingreift. Der Hinweis der Mutter bezog sich auf das Gleichge­wicht zwischen Mathematik und Deutsch bzw. auf den Verdacht, dass Lina das von ihr bevorzugte Fach Deutsch auch in ihrer Planung privilegiert. „ War auch so“ sagt Lina lachend – damit zeigt sie sich als einsichtsvolle, selbstreflexive und selbstkriti­sche Schülerin, die sich souverän auf kleine Korrekturen von außen einlässt.

Interessant ist dann die Kategorie des „Spaßes“ und des „Hobbys“. Damit eröffnet sie für ihre Planungen das Reich der Freiheit, sie kennzeichnet spezifische Vorhaben (die Deutschkartei) als nicht notwendig, sondern eher als eine Form des Sich-Selbst- Belohnens. Befragt nach ihrem Vorgehen bei der Auswahl ihrer Aufgaben für den Wochenplan erklärt Lina:

„Manche, die meisten Sachen, hab ich auch aus dem vorigen Wochenplan und den da­vor auch wieder aus dem vorigen Wochenplan, aber das eine schaff ich immer nicht und, ja…“

Lina erstellt demnach ihre Wochenpläne überwiegend mit Blick auf die Vorwoche. Nicht fertiggestellte Aufgaben und Materialien werden übertragen. Sie scheint folg­lich ihr Pensum der Wochenaufgaben nicht nach dem Aspekt zu erwählen, ob sie im Rahmen einer Woche erfüllbar sein werden. Sie ist sich darüber bewusst, dass be­stimmte Materialien einen längeren Zeitraum einnehmen und sie mehrere Wochen daran arbeiten muss. Lina nimmt eine sehr langfristige Perspektive auf ihre Planun­gen ein und erläutert entsprechend im Interview die Bedeutung der „Lernberatung“ für ihre Arbeitsplanung:

„Bei der Lernberatung wird das immer so gemacht, dass bis zur nächsten Lernberatung gesagt wird, was man da machen sollte. Das ist einmal vor dem Halbjahreszeugnis und einmal vor dem Ganzjahreszeugnis.“

Hier ist also neben der Lehrerin, der Mutter und ihren eigenen Vorlieben und Be­dürfnissen eine weitere Instanz angesprochen, die es in der Planung zu berücksichti­gen gilt. Lina scheint es aber keine Schwierigkeiten zu bereiten, diese unterschiedli­chen Kriterien und Instanzen unter einen Hut zu bringen. Ihre Planung führt sie, wie sie im Interview kurz und knapp bekundet, „allein“ durch. Zudem ergänzt sie zur Frage, seit wann sie Wochenpläne schreibt:

„Also wir haben von Anfang an selbst geplant und entschieden, was wir machen wol­len die Woche.“

Es ist also für Lina selbstverständlich, in Bezug auf die Planung ihrer Arbeit selbst­ständig zu entscheiden und auf Hilfestellungen der Lehrerinnen zu verzichten. Sie beginnt unaufgefordert bereits vor Anfang der Arbeitsphase und benötigt auch wäh­rend der Aufgabenwahl keine Aufmerksamkeit durch die Lehrerinnen. Ihre Pläne legt sie regelmäßig der Lehrerin zur Kenntnisnahme vor, eine Modifikation oder Ergänzung ist jedoch nicht beobachtet worden.

Ihre Planung setzt sie im Beobachtungszeitraum ziemlich genau entsprechend der für die Woche gewählten Vorhaben um. Den aufgezeichneten Plan nimmt sie nach eigenen Aussagen gelegentlich zur Hand:

„Meistens weiß ich, was ich hab, aber manchmal vergesse ich es auch wieder. Also, manchmal, da hab ich ja überhaupt keine Ahnung. Da schau ich dann in den Wochen­plan. Aber wann ich welche Aufgabe mache, hängt davon ab, wie ich Lust habe. Das kann ich mir ja auch aussuchen, wie ich das mache und wie lang und so.“

So scheint ihr der Plan zeitweise eine Gedankenstütze zu ihren selbstgewählten Aufgaben zu sein und sie an ihre Vorhaben zu erinnern. Sie ist sich ihrer Entscheidungsfreiräume bewusst und kann ihr Vorgehen bei der Umsetzung ihrer Vorhaben sehr prägnant beschreiben – dass dabei auch ihre aktuelle „Lust“ eine Rolle spielt ist selbstverständlich und legitim.

Nach der Beendigung von Teilaufgaben vermerkt Lina diese sofort auf dafür vorge­sehenen Listen, die jeder Schüler zu jenen Materialien bekommt und die mehrere Teilaufgaben enthalten. Hierfür betreibt sie bisweilen großen Aufwand, indem sie die vorgezeichneten Kästchen bemalt und ausgestaltet. Dabei scheint sie sich über fertiggestellte Teilaufgaben sehr zu freuen, zählt diese ab und vergleicht ihr Voran- „ kommen mit dem anderer.

Den Abschluss von Vorhaben markiert sie jedoch oft nicht sogleich in ihrem Wochenplan. Im Interview bemerkt sie dazu:

„Naja, wenn ich in den Wochenplan gucke und ich grad keine Lust habe und meinet­wegen schon Donnerstag ist und ich Deklination der Substantive drin hatte und auch überhaupt keinen Bock mehr habe, dann hake ich einfach, also kreuze ich einfach De­klination ab und aber eben auch wenn ich, naja, vor allem auch am nächsten Montag. Außerdem wenn ich zum Beispiel Mathekartei drin stehen habe und ich mach es Mon­tag und ich hake es ab, ich mach das ja eigentlich mehrere Male in der Woche, mindes­tens alle zwei Tage.“

Lina folgt der Regel, dass erledigte Vorhaben auf dem Wochenplan zu kennzeichnen sind, demnach meist erst am Ende der Woche oder am darauf folgenden Montag beim Schreiben des neuen Wochenplans. Überraschend ist vielleicht, wie selbstbewusst Lina bekennt, auch Vorhaben im Wochenplan abzukreuzen, die sie gar nicht ausgeführt hat. – Die Bedeutung des Abkreuzens wird dadurch stark relativiert. Eine solche Relativierung ergibt sich aber auch daraus, dass einige der Planungspunkte mehrfach im Laufe der Woche bearbeitet werden. Soll man dann das Kreuz schon beim ersten Mal machen oder erst am Ende der Woche? Zudem sagt das Kreuz ja auch nichts über die Beendigung eines Lernmaterials – manche Materialien tauchen schließlich über viele Wochen hinweg im Wochenplan auf.

Der Wochenplan stellt für Lina also, insgesamt betrachtet, zwar eine wichtige und verbindliche Orientierung für ihre Arbeit, aber keineswegs eine unumstößliche und unverrückbare Instanz dar. Im Verlauf einer (Arbeits-)Woche kann sich durchaus ergeben, dass das eine oder andere Vorhaben nicht ausgeführt wird oder, dass die eine oder andere Tätigkeit hinzukommt. Zusätzliche, über die ursprüngliche Planung hinausgehende Arbeiten trägt Lina meistens nachträglich noch in ihren Plan ein. Im Großen und Ganzen kann Lina ihr eigenes Lern- und Arbeitstempo gut einschätzen, sie plant in aller Regel realistisch und schafft es, im Laufe der Woche alle Vorhaben und Materialien planmäßig zu bearbeiten.

Mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlages.

http://www.paedagogik.de/index.php?m=wd&wid=1911

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