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Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitte

Im Zuge der Arbeit von Martin Lunkenbein werden die Erfahrungen von Studierenden mit Beobachtungsaufgaben im ersten Schulpädagogischen Blockpraktikum innerhalb des Projektes GLANZ (1) erfasst. Ziel ist es, auf diese Weise die Einschätzungen und Vorgehensweisen von Studierenden hinsichtlich obligatorisch zu bearbeitender Praktikumsaufgaben aufzudecken.

Positive Wertung von Beobachtungen

Dem Beobachten als kontrollierte Tätigkeit innerhalb des Praktikums wird von den Praktikantinnen ein Wert beigemessen. Dies wird an den positiven Rückmeldungen diesbezüglich deutlich. Innerhalb der Studierendenäußerungen werden unspezifische positive Zuschreibungen wie ‚sinnvoll’ und ‚interessant’ ergänzt durch spezifische Erklärungen über das Gewinnbringende der Beobachtungstätigkeit.

Und dann ist mir aufgefallen, dass es doch schon gravierende Unterschiede gibt, von der Leistungsstärke. Das merkt man alleine nur schon beim Beobachten. Wenn dann ein Kind wirklich mitarbeitet und das andere ständig abwesend ist. Dass einem das nur schon durchs Beobachten auffällt. Das ist, also ein ganz starker Eindruck von mir. Vielleicht lag das auch nur an meiner Gruppe, weil meine Gruppe so stark heterogen war. (IN22, 29)

Für die Studierende in Interview IN22 scheint es förderlich, über das Beobachten einzelner Schülerinnen und Schüler diese hinsichtlich ihrer Leistungsstärke genauer einschätzen zu können. Die Einschätzung von Leistungen, beziehungsweise im weiteren Sinn die Ausbildung von Diagnosefähigkeit zählt zu einem der Ziele der Lehrerbildung. Die Standards für die Lehrerbildung postulieren in ihrer Kompetenz sieben:
„Lehrerinnen und Lehrer diagnostizieren Lernvoraussetzungen und Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern; sie fördern Schülerinnen und Schüler gezielt und beraten Lernende und deren Eltern“ (Kultusministerkonferenz der Länder 2004, 11). Damit kann die Beobachtung der Studierenden in IN22 nicht nur für den eigenen Unterricht nutzbar gemacht werden, sondern ebenso für eine Arbeit mit den Eltern.
Neben der diagnostisch-analytischen Beobachtung einzelner Schülerinnen und Schüler wird durch Beobachtungen auch der Blick  für die Struktur der Klasse geöffnet. Im Anschluss an Oswald (2010, 188ff) wird im folgenden Kapitel eine quantitativ ausgerichtete Argumentationslogik diese qualitative inhaltsanalytische Auswertung nur im Einzelfall durchziehen. Insofern folgen lediglich an begründeten Stellen Angaben zu Häufigkeiten von Äußerungen. Unreflektierte Quasiquantifizierungen sollen somit vermieden werden.

Was das Beobachten gebracht hat? Dass man sich über die Struktur, die in der Klasse ist, klar wird. Was gibt es für Grüppchen, was sind für Charaktere, sozusagen da, wie stehen die einzelnen Kinder im Verhältnis zu den anderen in ihrer Leistung, Sozialverhalten. Also man konnte sich das alles ein bisschen, ja, analysieren sozusagen und klar machen, was, wen habe ich eigentlich genau vor mir, konkret, wer sitzt denn da? (IN38, 89)

Der analytische Blick, der unter anderem in IN38 deutlich wird, zeugt von einer umfassenden Wahrnehmung der Situation. Gelingt nach dieser Aussage die Dechiffrierung der klasseneigenen Struktur über die Beobachtung, kann der wahrgenommenen Heterogenität über eine adäquate Differenzierung und Förderung begegnet werden. Eine Abgrenzung allgemeiner Beobachtungen von den durch die Beobachtungsaufgaben geführten Beobachtungen ist über diese Äußerung nicht möglich: Mit ‚das Beobachten’ könnten auch die Beobachtungsaufgaben angesprochen worden sein.
Nicht nur im Interview IN38 ist eine genaue Trennung zwischen Erkenntnissen, die in den Beobachtungsaufgaben begründet sind, und den Erkenntnissen, die in allgemeinen, zusätzlichen Beobachtungen fundiert sind, schwierig zu ziehen. Diesbezüglich argumentiert die folgende Studierende auf einer Metaebene:

Und das hat man dann schon durch dieses Beobachten, aber ich weiß nicht, ob das jetzt unbedingt durch die Aufgabe, also gerade im Schullandheim die Beobachtung, die haben wir ja so gemacht, ohne dass wir wussten, dass genau die beiden später auch.. unsere Schüler sind, die wir beobachten. Also ich denke, dass uns das vielleicht auch so, oder dass mir das mir das vielleicht auch so aufgefallen wäre.. wenn ich immer von uns rede (Lachen). (IN27, 129)

Mit der Benutzung des Konjunktivs in dieser Äußerung wird offensichtlich, dass die Studierende eine Vermutung äußert. Eine weitergehende Betrachtung der Textstelle ‚auch so aufgefallen wäre’ deutet darauf hin, dass die Studierende über die Beobachtungsaufgaben keine zusätzlichen Erkenntnisse gewinnen konnte. Dementsprechend kann nach deren Aussagen von einer Priorität des grundständigen Beobachtens im Gegensatz zur fokussierten Beobachtung durch Aufgaben ausgegangen werden.
Ungeachtet der Tatsache, dass eine Zuschreibung von Effekten im Interview nur im Nachhinein vollzogen werden kann, wird das Beobachten als Vorübung für das spätere Berufsleben gesehen:

 „Also ich denke, man hat auf jeden Fall jetzt schon mal einen guten Einblick bekommen ins Beobachten und ich glaube man tut sich dann auch als Lehrer später mal leichter, weil man es einfach schon mal gemacht hat“ (IN21, 57).

Die geäußerte prospektive Sichtweise unterstreicht die Wertschätzung einer Übungsfunktion der Praktikumsaufgaben. Jedoch gilt es zu beachten, dass die quasi automatische Steigerung der Performanz einer Tätigkeit alleine aufgrund von Wiederholung kein Merkmal der Sozialwissenschaften ist. Mahnend steht hier Herbart (1806, 8), der den neunzigjährigen Schlendrian eines neunzigjährigen Dorfschulmeisters als Beispiel für eine nicht anzustrebende Bestätigung lediglich durch Erfahrung ansieht. Dieses Beispiel steht der Äußerung der Interviewten entgegen, wenn sie davon spricht: ‚ich glaube man tut sich dann auch als Lehrer später mal leichter’. In anderen, hier nicht näher aufgeführten prospektiven Äußerungen wird deutlich, dass die Studierenden die Vermutung haben, als Lehrkraft zukünftig für Beobachtungen keine Zeit mehr zu haben.
Daneben gelingt es Studierenden auch, den Blick für Auffälligkeiten zu schärfen:

 „(..) Also man hat da schon so einen Sinn geschärft dafür, was jetzt interessant ist und was.. was auffällig ist“ (IN26, 45).

Die damit angesprochene genauere selektive Wahrnehmung führt zu einer selbstbewussten Taxierung der eigenen Kompetenzen.

Fußnoten
(1)       Die Interventionsstudie GLANZ (Grundschullehrerausbildung – Neukonzeption) an der Universität Bamberg überprüft die Wirkungen einer Reform der Ausbildung von Grundschullehrkräften

Mit freundlicher Genehmigung der University of Bamberg Press
http://d-nb.info/1058947826/34

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