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Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Über die allgemeine Einstellung der Eltern trifft Frau Hansen eine Aussage. Sie meint, dass der Hintergrund der Kinder oft japanische, leistungsorientierte Mütter seien, die viel von ihren Kindern erwarten würden. Ich habe nur die Mutter von Jan W. kennengelernt und möchte nun genauer auf die beobachteten Merkmale ihres Erziehungsstils eingehen.
Die Mutter von Jan W. besteht darauf, jeden Mittwoch ein persönliches Gespräch mit Frau Karakaplan über die aktuelle Leistungssituation ihres Sohnes zu führen. Jan W. ist bei diesen Gesprächen ebenfalls anwesend. Sie erkundigt sich, ob Jan W. aktiv im Unterricht mitgearbeitet hat. Wenn Jan W. eine negative Zensur mit nach Hause gebracht hat, möchte sie erfahren, welche Ursachen dazu geführt haben könnten. Hat Jan W. allerdings eine gute Note geschrieben, dann bekommt er Geld dafür. Frau Karakaplan meint, dass die Mutter einen sehr hohen Anspruch hätte und hohe Erwartungen an Jan W. stellen würde.
Diese wöchentlichen Gespräche können von Jan W. im hohen Maße als kontrollierend wahrgenommen werden und psychologischen Druck ausüben. Die beobachteten Verhaltensweisen von Jan W. im Unterricht verstärken diese Annahme.

Jan W. sucht den ganzen Boden ab. Er murmelt etwas vor sich hin.

Jan W.: „Ich bin so blöd.“

Er schlägt sich mehrmals mit der Faust gegen den Kopf. Ich lege meine Hände auf seine Schultern und versuche, ihn zu beruhigen.

Ich: „Wir werden die Feder schon finden. Das ist doch alles nicht so schlimm“

Er tritt mit dem Fuß gegen seinen Rucksack. Er wirkt sehr verzweifelt und wütend. Schließlich finden wir seine Feder. Er setzt sie wieder ein und beruhigt sich ganz schnell. Die restliche Stunde arbeitet er sehr konzentriert. (Auszug aus dem Protokoll 11.1)

In der Szene hat Jan W. einen Teil seines Stiftes verloren und sucht ihn verzweifelt. Ich nehme an, dass Jan W. die Suche nach dem Stiftteil als Ablenkung wahrnimmt, die ihn davon abhält weiterzuarbeiten, denn sobald er wieder arbeiten kann, beruhigt er sich wieder. In dieser Szene wird deutlich, dass das Arbeiten im Unterricht für ihn von zentraler Bedeutung ist. Durch die Rahmenbedingungen, dass seine Mutter sich wöchentlich über sein Lernverhalten informiert, könnte er sich zu jeder Zeit stark beobachtet und damit kontrolliert fühlen. Das gewaltvolle Verhalten sich selbst gegenüber interpretiere ich als Ausdruck von psychologischem Druck. Diese Verhaltensweisen lassen vermuten, dass Jan W. hauptsächlich extrinsisch motiviert ist, da weder sein Kompetenzgefühl noch sein Autonomiebedürfnis durch den Erziehungsstil der Mutter unterstützt werden. Er verhindert vielmehr, dass Jan W. seinen Bedürfnissen nachgehen kann. Unter diesen Bedingungen ist es kaum vorstellbar, dass er sein Verhalten als selbstbestimmt wahrnimmt.

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