Einleitende Bemerkungen

Für das vorliegende Forschungsprojekt wurde aus einer Lernwerkstatt zum Thema Wetter, Klima, Klimawandel eine Aufgabe ausgewählt und auf zwei Arten aufbereitet: Als problemorientierte Aufgabe mit Handlungsanleitung und als problemorientierte Aufgabe ohne Handlungsanleitung. Als problemorientierter Ausgangspunkt wurde der Vorschlag des US Energieministers Chu, Dächer und Strassen weiss anzumalen, um auf Grund des Albedo-Effekts der Klimaerwärmung entgegen zu wirken (St. Galler Tagblatt 2009/05/29), aufgegriffen. Unter Einbezug der Erkenntnisse zum Klimaschutz (IPCC. 2007) wurde dieser Vorschlag dahingehend relativiert, dass bei einem Neubau die Wahl auf helle Materialien fallen soll, wenn diese mit der gleichen Umweltverträglichkeit und Energiebilanz zur Verfügung stehen wie dunkle Materialien. Im Vergleich dazu hätte es einen negativen Effekt, die Asphaltstrassen mit einem weissen Farbbelag zu überziehen, da diese Farbe sehr viel stärker die Umwelt belastet. Aus diesen Überlegungen heraus formulierten wir unsere problemorientierte Aufgabe:

„Klimaerwärmung bedeutet, dass die Temperaturen auf der Erde steigen. Damit sie trotz Umweltverschmutzung nicht weiter ansteigen, hatte jemand die folgende Idee: Man könnte Häuser mit Materialien bauen, die sich durch die  Sonne weniger stark erwärmen. Was denkt ihr, erwärmen sich Gegenstände mit unterschiedlichen Oberflächen verschieden stark? Warum?“

Als Materialien wurden ein weisser und ein schwarzer Stein, Gras, Ziegel, Teer, sowie Thermometer, Lampen und Uhren bereitgestellt.

Die Aufgabe ohne Handlungsanleitung bestand ausschliesslich aus der obigen Problembeschreibung und den zur Verfügung gestellten Materialien. Für die Aufgabe mit Handlungsanleitung wurden die gleiche Problembeschreibung und Materialien mit einer zweiseitigen Handlungsanleitung ergänzt. Die Handlungsanleitung wurde mit zahlreichen Fotos gestaltet; damit ist sichergestellt, dass das Verstehen der Handlungsanleitung nicht nur von den Lesekompetenzen abhängt.

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Im Folgenden interessiert, wie die Lernprozesse ablaufen, wenn die Lernenden nur die Frage (ohne Handlungsanleitung) oder die Frage und die Methode (mit Handlungsanleitung) als Aufgabenstellung erhalten. Im Folgenden werden Ausschnitte aus der Arbeit von zwei Teams als Fallbeispiele dargestellt.

Team 23 erhält die problemorientierte Aufgabe, das Material und die Anleitung. Sie lesen den Auftrag laut vor. Dazwischen werden eigene Fragen und Gedanken erwähnt, wie beispielsweise im folgenden Abschnitt:

Lea: Okay. Was müssen wir machen? () Wo mehr, wo weniger. Also warte. [liest auf der Anleitung:] ‘Auftrag. Klimaerwärmung bedeutet, dass die Temperaturen auf der Erde steigen. Damit sie trotz Umweltverschmutzung nicht weiter ansteigen, hatte jemand folgende Idee: Man könnte Häuser mit Materialien bauen, die sich durch die Sonne weniger stark erwärmen’.  Also Material wo es drinnen kälter ist.

Lea: Okay. Und jetzt die Lampen, oder? Wie viel Abstand?

Simona: 25, 15

Lea: Ist das etwa 17?

Lea: Wie viele sollen wir? Ich weiss es nicht. Jetzt kannst du.

Im oberen Abschnitt zeigen sich einige der Herausforderungen, die diese Aufgabenstellung den Schülerinnen und Schülern stellt: Schülerinnen und Schüler achten oftmals nur auf die Unterschiede der Temperaturen – im obigen Beispiel ‚wo mehr, wo weniger‘ – und nicht auf die Frage der Differenz und damit der Erwärmung. Auch zeigt sich als Herausforderung beim Thema des Albedo-Effekts im Kontext von Häuserbau, dass die Kinder spontan eher auf das Innere des Hauses fokussieren anstatt auf die Umwelt, wie oben mit der Bemerkung ‚also Material wo es drinnen kälter ist‘. Eine Schülerin hat diese Themen angesprochen, diese eigenen Überlegungen werden jedoch nicht weiterverfolgt oder diskutiert. Das Team verwendet im weiteren Verlauf relativ viel Zeit darauf, anhand der Anleitung herauszufinden, mit welchem Abstand die Lampen angeordnet werden sollen und welche Bezeichnung welchem Material entspricht. Gegen Ende des Experiments ereignet sich das folgende Gespräch:

Lea: Was haben wir herausgefunden beim Experiment? Welcher ist am wärmsten?

Lea  schaut auf die Anleitung. Simona kommt um den Tisch herum und schaut auch auf die Anleitung.

Lea: Der Teer glaube ich, oder? Lea blättert zur ersten Seite und schaut, was sie aufgeschrieben haben.

Lea: Ja, der Teer ist am wärmsten. Ja, der Teer, dass der Teer am wärmsten ist, oder?

Simona: Mmmh „ja“

Die beiden schauen der Anleitung entsprechend nach, welche Anfangstemperaturen sie aufgeschrieben hatten und ob ihre Vermutung stimmt. Dann sagt Lea etwas später:

Lea: Ou (). Jetzt müssen wir dann fertig machen. Wo ist der Gummi? Wir sind jetzt fertig, oder?

Die Kinder, die eine Anleitung erhalten haben, sind darauf fokussiert, das Arbeitsblatt auszufüllen. Es geht stark darum, die Aufgabe zu erledigen, abzuarbeiten und mit einem richtig ausgefüllten Blatt fertig zu sein. Zum Thema Experimentieren haben sie keine expliziten Überlegungen formuliert. Wie ihre Äusserungen am Schluss zeigen, sind sie durch die Anleitung auch nicht zu einem Verständnis des Albedo-Effektes im Zusammenhang mit Klimaschutz gelangt. Viel Aufmerksamkeit erhält das Verstehen der Anleitung und die Durchführung des Experiments.

Team 19 arbeitet ohne Anleitung und entwickelt mit dem Material und der problemorientierten Aufgabe als Impuls ein eigenes Experiment. Die beiden Schülerinnen lassen sich stark durch die Möglichkeiten des Materials leiten. Sie diskutieren, was es hat und was man damit machen könnte:

Angelina: Also wie wollen wir es jetzt machen?

Nicole: Lampe, haben wir bereits da. Uhren.(…)

Angelina: Also ich glaube (). Was ().

Nicole: So Erde.

Angelina: Hä?

Nicole: Ich weiss auch nicht.

Angelina: Ich meine, da können wir ja selber. Also ich denke mal, irgendwie so.

Sie formulieren ein Ziel für das Experiment, beginnen, die Materialien aufzubauen und die Gegenstände zu erwärmen. Eine Schülerin bemerkt dann, dass sie einen Fehler gemacht haben:

Angelina: Ja nichts. Oh nein, jetzt haben wir etwas vergessen.

Nicole: Was?

Angelina: So ein Scheiss. Wir hätten zuerst die Temperaturen messen sollen, bevor er beleuchtet worden ist und dann aufschreiben und dann (). ja nun – oder wart

Dieses Team hat selber ein Experiment geplant und durchgeführt, erkennt selbstständig den gemachten Fehler  und formuliert das verbesserte Vorgehen um die Differenz der Temperaturen zu erfassen. Dieser kompetente Umgang mit Fehlern weist auf ein konstruktivistisches Lernen hin (Spychiger 2006).

Bei diesem Team zeigen sich auch Sequenzen, bei denen sich die beiden widersprechen. Im Vergleich zum Team mit der Handlungsanleitung können sie nicht einem Vorgehen folgen. Wenn eine Handlungsanleitung vorliegt, wird diese für Entscheide von richtig und falsch konsultiert. Ohne Handlungsanleitung sind Diskussion und Widerspruch häufiger:

Angelina: Der hat sich am wenigsten gesteigert. Der ist () gewesen. Der schwarze Stein hat sich am wenigsten gesteigert.

Nicole: Ja nein der Marmor, der ist hinunter.

Angelina: Nein herauf.

Nicole: Herauf? Nein ().

Angelina: Der, der schwarze Stein, hat am meisten.

Dieses Team berechnet trotz des Fehlers im Vorgehen die Unterschiede in der Erwärmung korrekt; es formuliert jedoch keine Schlussfolgerungen, was das Experiment nun für die ursprüngliche Fragestellung bedeuten könnte.

Wenn eine Anleitung das Experimentieren führt, wird viel Lernzeit dafür verwendet, diese zu verstehen und zu interpretieren. Bei Uneinigkeiten über das weitere Vorgehen verweisen diese Teams auf die Anleitung. Um zu entscheiden, ob sie das Experiment fertig durchgeführt haben, überprüfen die Teams, ob sie alle Leerstellen im Arbeitsblatt ausgefüllt haben und orientieren sich weniger an der ursprünglichen Fragestellung. Im Vergleich dazu verwenden Teams, die keine Handlungsanleitung haben, mehr Zeit darauf, die Problemstellung zu verstehen und das Experiment zu planen. Sie diskutieren vermehrt über die Vorgehensweise, die Interpretation der Ergebnisse und die Bedeutung des Experiments für die Fragestellung. 

Das Projekt wurde durch den Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Programms DORE (Projektnummer: 13DPD3_124586/1) und durch das Amt für Volksschule des Kantons St. Gallen finanziell unterstützt.

Literatur

Frischknecht-Tobler, U., & Labudde, P. (2010). Beobachten und Experimentieren. In P. Labudde (Ed.), Fachdidaktik Naturwissenschaft 1.-9. Schuljahr (pp. 133-148). Bern: Haupt Verlag

IPCC. (2007). Climate Change 2007: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Geneva.

Spychiger, M. (2006). Editorial: Fehlerkultur – Indiz für eine konstruktivistische Auffassung des Lernens. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 1, 5-12.

St. Galler Tagblatt (2009-05-29) Weisse Häuser gegen die globale Erwärmung

Mit freundlicher Genehmigung des Waxmann Verlages.
www.waxmann.com/buch2793
 

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