Autor/in:
Schulform:
Schlagworte:
Methode:
Fachdidaktik:
Downloads:

Dieser Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Die Konstitution fachkultureller Felder erfolgt über ein enges Zusammenwirken von Akteurinnen bzw. Akteuren und Strukturen des Feldes. In diesem Kapitel werden Ausschnitte räumlicher Prozesse auf die Auswirkungen fachkultureller und gegenderter Strukturen hin untersucht. Dabei stehen diejenigen Herstellungsprozesse im Mittelpunkt der Betrachtungen, welche örtlichen Faktoren (vgl. Kapitel 7), v. a. als materiell-architektonische Bedingungen, und ihre räumlichen Wirkungen miteinander verknüpfen. Hierbei werden einem relationalen Raumverständnis zufolge fachkulturelle Räume nicht als starre Rahmung der Handlungen gefasst, sondern als sozial konstruierte Anordnungen verstanden, welche gleichzeitig Resultat und Voraussetzung fachkultureller Charakteristika sind. Wie in der Darstellung fachkultureller Orte bereits deutlich wurde, sind schulische Akteurinnen und Akteure immer auch mit materiell-architektonischen Positionierungen konfrontiert, denn „in einer Schule geschieht fast nichts außerhalb der baulichen Umgebung“ (Kleberg 1994: 32). Das gilt ebenso für Räume: soziale Aushandlungen finden immer in räumlichen Strukturen statt. Schulische Räume sind durch ihre Institutionalisierung zumeist bereits (vor-)strukturiert, sie werden jedoch ständig neu hervorgebracht und bleiben über ein individuelles Handeln hinaus wirksam. Somit bilden sie quasi eine ,Grenzregion’ zwischen kollektivem Handeln und eigener Konstituierung.
Die Analyse von Räumen bietet sich also an, um die Sozialität fachkultureller Gemeinschaften näher zu erfassen. Während die Untersuchung der Unterrichtsorte in Kapitel sieben bereits deutlich auf fachkulturelle Gestaltungsunterschiede zwischen Physik und Deutsch verwiesen hat, muss diese Frage für die Herstellung von Räumen erst noch beantwortet werden. An dieser Stelle werden daher vier unterschiedliche räumliche Bereiche herausgegriffen und auf fachkulturelle Spezifika analysiert: Zunächst die Positionierung des Pults als Mobiliar, welches auf der einen Seite in jedem Fach- und Klassenraum vorhanden ist, zugleich aber als ,Lehrkrafttisch’ einen besonderen symbolischen Charakter erhält (Kapitel 8.1.). Zweitens werden fachkulturelle Räume auf ihre Herstellung von Vorgabelegitimität durch ,Hausrecht’ hinterfragt: So sind mal die Lehrenden, mal die Lernenden die gastgebende Seite – und dies mit unterschiedlichen Konsequenzen (Kapitel 8.2.). Die Aushandlungen der Sitzordnungen in allen Klassen und in beiden Fächern stellt schließlich den dritten Bereich dar (Kapitel 8.3.). Hier greift die Kategorie Geschlecht als zentrales (an-)ordnendes Prinzip, die abschließende Darstellung der Sitz- und Kooperationsanordnungen in den beiden Unterrichtsfächern Deutsch und Physik verweist jedoch auch auf weitere mögliche Anordnungskriterien nach dem doing difference, welche die Kategorie Geschlecht in den Hintergrund treten lassen. In Kapitel 8.4. werden die unterschiedlichen räumlichen Ausschnitte der fachkulturellen Inszenierungspraktiken resümierend zusammengefasst. Bei allen betrachteten Bereichen handelt es sich um alltägliche Raumbildungsprozesse, nicht um besondere oder einmalige Inszenierungen.

Fachkulturelle Symbolik: das Pult

Zunächst ist zu beobachten, dass in allen Fach- und Klassenräumen ein Möbelstück, das Pult, in seiner Funktion allein der Nutzung durch die Lehrkraft zugeordnet ist. Damit gehört es zur Standardausstattung sämtlicher Unterrichtsorte und erhält eine gewisse Normalität. Zugleich unterstreicht es als einziges ,privilegiertes’ Mobiliar symbolisch die besondere Position der Lehrkräfte an den Unterrichtsorten. Dies gilt zunächst für beide Unterrichtsfächer, wird jedoch fachkulturell unterschiedlich gestaltet: Das unterschiedliche Mobiliar in Deutsch und Physik (vgl. Kapitel 7) betrifft auch die Position des Pults: In nahezu allen Klassenräumen – und damit den Unterrichtsorten für Deutsch – steht das Pult zentriert mit geringem Sitzabstand vorne vor der Tafel. Abweichungen erlauben in der Regel nur eine geringe Verschiebung nach rechts oder links, nur in einem Fall nach ganz links. In beiden Physikräumen steht das Pult etwas links versetzt vor der Tafel, ist dort aber fest montiert.
Für beide Fächer unterscheidet sich das Pult deutlich von allen anderen Tischen in den Räumen. In den Klassenräumen findet sich in der Regel ein Holzpult, das deutlich stabiler, breiter und tiefer ist als die Tische der Schüler und Schülerinnen. Die Seiten sind durch hölzerne Seitenwände abgeschirmt, so dass bei den Deutschlehrkräften in Sitzposition hinter dem Pult die Beine verdeckt sind. Das Pult ist in der Regel der einzige Tisch im Raum, der eigene (abschließbare) Schubladen hat. Diese werden jedoch offenbar kaum genutzt.
Die Deutschlehrkräfte setzen sich – wenn sie sich überhaupt setzen – eher selten auf einen Stuhl hinter das Pult, sondern viel eher auf eine Ecke des Pults oder aber ganz unabhängig vom Pult auf andere Stühle im Raum bzw. an oder auf Tische der Lernenden. Dadurch wird dem Pult die Funktion des zentralen ,Lehrkrafttisches’ etwas genommen. Zum Teil entsteht durch die Sitzposition der Deutschlehrkräfte eher auf Höhe der vorderen Tische der Eindruck eines geschlossenen Kreises. Häufiger wurde protokolliert, dass die Lehrkräfte das Pult als Ablage für ihr Unterrichtsmaterial wie Kopien, Heftstapel, Bücher etc. nutzen und dem Tisch damit eine rein funktionale Bestimmung zuweisen. Eine eindeutige Nutzung des Pults als spezifisch der Lehrkraft zugewiesener Tisch ist v. a. in der Klasse A zu beobachten, dort nutzt die Deutschlehrerin, die zugleich Klassenlehrerin ist, das Pult regelmäßig für allgemeine klassenorganisatorische Abläufe wie Zeugnisse und Wahlzettel einsammeln etc..

In keinem Fall konnte eine von der Norm abweichende Nutzung des Pults beobachtet werden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass zwischenLehrenden und Lernenden weitgehende Zustimmung zur gemeinsam zugeschriebenen fachkulturellen Funktion des Pults besteht.

Fußnote:

[1] In einem Fall ist protokolliert, dass ein Physiklehrer einen Versuchsaufbau auf dem Rollwagen aufgebaut hat und diesen auch hinten im Klassenraum stehen lässt (vgl. Cp00123g). Die Lernenden müssen in diesem Fall ihre zugewiesenen Sitzplätze verlassen und sich um den Wagen gruppieren, um den Versuch sehen und dem Unterricht weiter folgen zu können. In allen anderen Fällen, in denen der Rollwagen für einen Versuchsaufbau genutzt wurde, wurde dieser unmittelbar vor das Pult geschoben.

Mit freundlicher Genehmigung des transcript Verlages
http://www.transcript-verlag.de/978-3-89942-688-5/schulische-fachkulturen-und-geschlecht

Nutzungsbedingungen:
Das vorliegende Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, bzw. nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt – es darf nicht für öffentliche und/oder kommerzielle Zwecke außerhalb der Lehre vervielfältigt, bzw. vertrieben oder aufgeführt werden. Kopien dieses Dokuments müssen immer mit allen Urheberrechtshinweisen und Quellenangaben versehen bleiben. Mit der Nutzung des Dokuments werden keine Eigentumsrechte übertragen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.