Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

1. Körper als Schauplatz der Marginalisierung

Das erste Beispiel wurde in einer Pausensituation in der jungendominanten Klasse aus der Jahrgangsstufe 9 beobachtet. Es sind noch einige Jungen im Klassenraum anwesend:

Siegfried zieht Joachim auf und ruft herüber zu ihm: „Hey, Joachim, was ist denn mit Deiner Stimme? Die ist so hell!“ Siegfried macht eine hohe und quitschige Stimme nach. Er sagt etwas von: „So weibliche Formen, ein weiblicher Körper.“ Siegfried ruft dann zu ihm: „Joachim, wann ist Deine Operation?“ Joachim zeigt keine Reaktion. Mathias ruft nun: „Er lässt sich operieren, dass er ein Mann wird!“ Die anderen lachen. (Ad91015d)

Zuerst kritisiert Siegfried Joachim für seine zu helle Stimme. Sie passe nicht zu der Erwartung der männlichen Norm. Siegfried verknüpft die körperliche Repräsentation der Stimme mit der Frage nach legitimer Männlichkeit. Diese Kopplung wird noch gesteigert. Nicht nur die Stimme, sondern der gesamte Körperbau von Joachim widerspreche den geschlechtlichen Erwar­tungen. Von hier ist es für Siegfried nur noch ein kleiner Schritt dahin, zu verkünden, Joachim solle die ihm zugeschriebene Weiblichkeit nachholen. „Wann ist deine Operation?“ fordert die operative Angleichung des Körpers an die scheinbar ungewöhnliche Inszenierung.

Hier zeigt sich, dass das soziale Geschlecht (Gender) wichtiger als das biologische ist (Sex). Denn nach einer geschlechtsumwandelnden Operation kann von einem unveränderlichen biologischen Geschlecht keine Rede mehr sein. Im Gegenteil, gerade hier wird deutlich, dass die Körper den gesellschaftlichen Vorstellungen über Geschlecht angepasst werden. Dabei stellt die geschlechterwechselnde Operation keine Ausnahme der Körper­modellierung dar, sondern nur eine besonders augenfällige Form. Die ver­ändernde und modellierende Arbeit am und mit den Körpern ist alltägliche Praxis, wie Schönheitsoperationen für Frauen und zunehmend Männer ebenso zeigen wie Bodybuilding-Studios oder Körperformung durch Klei­dung und modische Accessoires (vgl. z.B. Budde 2003b). Die männliche Norm, eine tiefe Stimme zu haben, muss zur Not gegen die vermeintlich naturgegebenen Tatsachen durchgesetzt werden. Es scheint erträglicher zu sein, die Natur zu unterwerfen und zu manipulieren als Abweichungen innerhalb der Geschlechterordnung zu dulden. Die naturalisierende Definition der Geschlechterdichotomie wird irrelevant, bedeutsam ist die dichotome Konstruktion an sich. Das sich selbst tragende System aus gegensätzlichen, aber ähnlichen Kategorien ist die eigentliche Begründung für Männlichkeit. Männlichkeit heißt tiefe Stimme, weil Weiblichkeit helle Stimme heißt – und umgekehrt. Da keine Abweichungen oder Alternativen möglich sind, binden die Jungen die Marginalisierung auch ausschließlich an die beste­henden Kategorien Mann oder Frau.

Die Auseinandersetzung erfährt durch Mathias eine weitere Steigerung, der den Gedanken der Geschlechtsumwandlung aufgreift, expliziert und verkehrt. Joachim solle sich zum Mann umoperieren lassen. Er spricht aus, was Siegfried in seinem Kommentar über die weiblichen Formen nur an­deutet, und definiert Joachim somit als Frau. Bei Siegfried hat Joachim den Status des mangelhaften Mannes, denn er muss sich aufgrund seiner weib­lichen Formen umoperieren lassen. Bei Mathias erhält er den Status der mangelhaften Frau, denn da er erst nach einer Operation für sich in An­spruch nehmen könnte, als Mann zu gelten, liegt der ihm zugewiesene Platz ebenfalls außerhalb von Männlichkeit. In beiden Fällen soll er sich einer biologischen Geschlechtsumwandlung unterziehen und wird so aufgrund der ihn (be)treffenden Zuschreibung als unmännlich marginalisiert.

Das daraufhin einsetzende Lachen der Mitschüler kann als zustimmende Einigkeit gedeutet werden. Der Kontext der Aberkennung von Männlich­keit für Joachim wird verstanden und akzeptiert. So etablieren sie durch die gemeinsam geteilte Deutungsfolie männersolidarische Strukturen. Des eigenen Status kann sich versichert werden, da die Ausgrenzung von Joachim ein gemeinsames männliches „wir“ konstruiert. „Wir, die wir den Witz verstanden haben“, aber auch „wir, die wir von solchen Aberkennungen nicht betroffen sind“, „wir, deren körperliche Inszenierung als normal gilt, weil wir die Interpretationsfolie verstehen“. Dieses „wir“ schützt Siegfried und Mathias davor, dass ihre Handlung als das entlarvt wird, was sie ist: nämlich eine Ungerechtigkeit. Die anderen beteiligen sich so als relevante „Mitarbeiter“ an der Ausgrenzung, sie übernehmen die Funktion der von Connell als „komplizenhaft“ (Connell 1999: 86) bezeichneten Männlichkeit. Der Doppelmechanismus aus Exklusion und Inklusion führt dazu, dass über die Markierung von Joachim die anderen Schüler als legitim, sprich „normal“ und männlich gelten. Die Marginalisierung wird somit in einem sozialen Prozess hergestellt. Der Körper ist dabei der Schauplatz der Aushandlungen.

2. Marginalisierte Körper als Agenten

Allerdings existiert in dem Beispiel noch eine weitere körperliche Dimension: „Joachim zeigt keine Reaktion.“ Was bedeutet diese Aussage? Sie deutet darauf hin, dass die Körper selber aktiv an den Marginalisierungsprozessen beteiligt sind. Judith Butler beleuchtet in ihrem Buch Hass spricht (1998), wie Sprache verletzen kann. Butler führt aus, dass bestimmte performative Äußerungen die Macht haben, Andere derart zu verletzen, dass diese Verlet­zung inkorporiert und damit körperlich wird. Durch massive sprachliche Angriffe kann einem Individuum „die Sprache geraubt werden“. Die Ab­erkennung des legitimen Status als männlich nimmt Joachim auch den Standpunkt, von dem aus er anerkanntermaßen sprechen kann. Die sprachliche Verletzung entzieht ihm seinen Subjektstatus, er kann nicht mehr reden. Was könnte er erwidern, um dieser Form von Ausgrenzung entgegenzutreten? Welche körperliche Äußerung würde ihn legitimieren?

Er kann nicht reklamieren, dass es offensichtlich sei, dass er ein Mann ist, weil genau diese Offensichtlichkeit in Frage gestellt ist. Und deswegen müsste seine Verteidigung auf die Aberkennung Bezug nehmen, im Sinne einer pluralistischen Position, die lauten könnte: „Es gibt eben verschiedene Männlichkeiten.“ Da er aber aus dem Kreis derer, die im Namen legitimer Männlichkeit sprechen dürfen, herausdefiniert ist, schweigt er. Das Schweigen bezieht sich also nicht nur auf die Sprache, sondern auch auf den Körper. Die Sprache wird auch auf der körperlichen Ebene geraubt, womit paradoxer Weise der schweigende Körper einen Beitrag im Prozess der Aushandlung von Marginalisierung darstellt. Beides gehört zu der gleichen symbolischen Ordnung, in die der männliche Habitus eingebettet ist.

Joachim zeigt keine Reaktion, woraus nicht abgeleitet werden kann, dass er nicht agiert. Er ist häufiger Zielscheibe von Marginalisierungsprozessen. Möglicherweise begehrt er deswegen nicht auf, sondern versucht, „unsichtbar“ zu werden. „Wenn ich nicht reagiere, biete ich weniger Fläche für weitere Angriffe“, so möglicherweise sein Gedankengang. Damit ist das Problem für ihn allerdings nicht gelöst, denn auch so bleibt er unmännlich und wird nicht wieder in den Kreis legitimer Männlichkeiten aufgenommen. Begehrt er jedoch auf, setzt sich der Körper aktiv zur Wehr, riskiert er eine Wieder­holung der Marginalisierung. Körperliche Äußerungen und die Aushandlungen von Männlichkeit gehen also Allianzen ein bzw. sind unmittelbar aneinander gekoppelt. Joachims scheinbarer Nichtbeitrag ist also gleichfalls ein Statement, das die Marginalisierung bestätigt und fortschreibt. Diese Art der körperlichen Aktion ist kein singuläres Beispiel. Auch an anderer Stelle findet sich dieses Muster wieder. Das Beispiel stammt aus der gleichen neunten Klasse zu Beginn der Pause:

Die Hälfte der Klasse verlässt den Raum. Alexander zu Veith: „Veith, du bist ein Nichts ohne Möcki.“ Seine Stimme ist vernichtend, er sagt es klar und ruhig, sieht Veith dabei an. Für einen Moment ist es still in der Klasse. Veith verzieht das Gesicht zu einer Fratze und fragt dann Alexander, seinen Blick erwidernd: „Wieso?“ Alexander, nun in gleichgültiger, tonloser Stimme: „Von dem schreibst du immer ab.“ (Ad80916n)

Alexander entwertet Veith, indem er ihn als „Nichts“ bezeichnet, allerdings rettet ihn die Abhängigkeit von Möcki. Die Entwertung ist dabei nicht aggres­siv vorgetragen, sondern beinahe banal, gerade so, als ob Alexander eine Tatsa­che verkündet. Veith reagiert auf die Provokation von Alexander, indem er rückfragend eine Erklärung verlangt. Er erwidert den Blick und beteiligt sich somit zwar an der Interaktion, sein Gesicht ist allerdings „zu einer Fratze“ verzogen und macht die Unterordnung sehr deutlich sichtbar – er erstarrt.

Ansonsten werden keine weiteren körperlichen Reaktionen berichtet. Veith lässt die Situation defensiv über sich ergehen, er fragt zwar zurück, die körperliche Erstarrung ist dadurch jedoch nicht aufgehoben. Die Unterord­nung ist als Inkorporierung in den Körper eingeschrieben und wirkt als körperreflexive Praxis, da auch die (Nicht-)Reaktion als Handeln in der sozialen Welt gedeutet wird. Sie äußert sich als körperliche Fixierung in der Unmöglichkeit, aus der Erstarrung zu entfliehen.

Gleichzeitig fungiert diese Starre als Schutz gegen Angriffe, Verunsiche­rungen und Entwertungen. Das Problem, welches sich Veith stellt, ist, dass ihn nur eine männliche Körperinszenierung vor der Marginalisierung retten würde. Die zur Schau gestellte Nicht-Reaktion zählt aufgrund der Passivität sicherlich nicht dazu. Sie spricht ihm seinen männlichen Status ab und bestärkt die geschlechtliche Unterordnung. Wie bei Joachim ist die Nicht­-Reaktion auch ein Beitrag zu der Aushandlung um Männlichkeit in dieser Szene. Die skizzierte „Nicht-Reaktion“ auf Seiten entwerteter Schüler zeigt sich so häufig, dass offensichtlich ein generalisierbarer Bestandteil der männ­lichen Körpersozialisation vorliegt: Die alltägliche Wiederholung solcher Interaktionsmuster münden in starren Konzepten von Körperlichkeit.

3. Erfolgreiche Normabweichungen

Dieser aufgezeigte Inkorporierungsvorgang ist nicht statisch. Zum einen sind die Herstellungsmechanismen vielfältig und teilweise widersprüchlich, zum anderen finden sich in der Studie ebenfalls verschiedene Hinweise auf irritie­rende und geschlechterstereotypdurchkreuzende Praktiken auf der körperlichen Ebene: Beispielsweise bei der Verwendung eines als weiblich kodierten Haar­reifen oder von künstlichen Fingernägeln, dem Lackieren von Fingernägeln oder dem Durchführen eines Paartanzes von zwei Jungen in der Pause.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass diese Praktiken gerade nicht im Verborgenen stattfinden, sondern öffentlich und damit auf die Zustimmung der Mitschüler notwendigerweise angewiesen sind. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, dass für weibliche Inszenierungen eigent­lich die Aberkennung von Männlichkeit droht. Werden allerdings die stereotypdurchkreuzenden Praktiken von den Mitschülern als offensichtlich lustige Inszenierung gewertet, dann können die Schüler als mutig angesehen werden. Sie gelten dann nicht mehr als weiblich, sondern als Jungen, die sich etwas trauen. Dies kann dann dadurch honoriert werden, dass nicht mehr der aufgetragene Nagellack, sondern die mutige Inszenierung im Vordergrund steht, welche wiederum männlich codiert ist. Allerdings sind diese Inszenierungen keine habituelle, routinierte oder gar inkorporierte Praxis, sondern Einzelbeispiele, die meist von Jungen eingesetzt werden, die nicht häufig von Marginalisierungen betroffen sind, sondern einen gesicherten Status besitzen. Häufig fallen diese Schüler auch zu anderen Gelegenheiten als Klassenclown auf. So erklärt sich auch, warum nur ein geringer Teil der Jungen diese Praktiken anwendet.

Marginalisierung entsteht also nicht immer und zwangsläufig, sondern ist sowohl vom jeweiligen Kontext abhängig als auch von dem, was Bourdieu als Kapitalien (1992: 52ff.) bezeichnet. Für „erfolgreiche“ Marginalisierungen braucht es auch die Macht in Form von validem symbolischem und sozialem Kapital, diese durchzusetzen.

4. Fazit

Um den marginalisierten Körper als relevante und notwendige Kategorie im Prozess der Herstellung und Aushandlung von Männlichkeit zu begreifen, bietet es sich an, ihn in einer doppelten Weise zu denken. Der Körper selber ist nicht nur ein Schauplatz, in den Männlichkeit eingeschrieben wird, sondern auch Handelnder. Dies bezieht sich nicht nur auf körperliche Tätigkeiten zur Herstellung von Männlichkeit, sondern auch darauf, dass Körper ihren je eigenen Beitrag zur symbolischen Ordnung leisten. Somit sind sie auch auf der symbolischen Ebene relevant und folgen diskursiven Gesetzen. Dieser Prozess hat einen tendenziell offenen, wenngleich nicht beliebigen Ausgang. Dies bedeutet auch, dass sowohl statische als erst recht naturalisierende Konzepte zu kurz greifen, da die Körper auch auf der symbolischen Ebene wandelbar sind. Der Vorteil des Habituskonzepts ist es, genau diese Bewegung als konstitutiv für Männlichkeit zu verstehen und so zu erklären, wie die soziale und körperliche Ebene miteinander verwoben sind und die Inkorporierung den männlichen Habitus dauerhaft absichert.

Die Beispiele illustrieren, dass die körperliche Dimension von marginalisierter Männlichkeit auf einer Art Zirkelschluss beruht: Die Erfahrung von Marginalisierung auf der körperlichen Ebene fuhrt zu statischen Konzepten und Abwehr. Diese Reaktion rekurriert auf Elemente männlicher Sozialisation, d.h. die Marginalisierung hat Anteil an der Herstellung und Aufrechterhaltung des männlichen Habitus. So kehrt das starre Körperkonzept zurück in die Mitte der Konstruktionsprozesse von Männlichkeit unter Schülern.

Auf den ersten Blick erscheint irritierend, dass männliche Körperkonzepte zum einen auf Minimierung und Panzerung ausgerichtet – also innengerichtet – sind und gleichzeitig auf die Einschränkung Anderer, Exklusion und Marginalisierung – also außengerichtet. Jedoch sind die beiden Bewegungen keine Aporie, sondern bedingen einander. Denn die Gewalt der Inkorporierung von Marginalisierungen wird möglicherweise in gewaltförmigem Handeln weiter fortgeschrieben. Da Marginalisierung – wie gezeigt – eine Erfahrung vieler Jungen ist, kann so erklärt werden, wie Gewalt in das Männlichkeits­konzept grundlegend eingeschrieben ist. Durch die Wiederholung von Ein­schreibungen, wie den hier dargestellten, wird sie selber zu einem zentralen Körperkonzept von Männlichkeit. Die Herstellung von Männlichkeit be­inhaltet vielfach die Erfahrung körperlicher Marginalisierungen und sorgt so für fortgesetzte Marginalisierungserfahrungen. Diese können in einem außenorientierten Prozess wiederum als unterdrückend an andere weiterge­geben werden. Insofern ist Theweleits Körperbegriff zuzustimmen. Allerdings ist dieses Verhältnis nicht starr, sondern entsteht – wie dargestellt – in sozialen Aushandlungsprozessen, die von diesem Verhältnis wiederum ge­staltet und moderiert werden. Denn die wenigen Beispiele für Irritationen zeigen, dass Verschiebungen zwar sehr wohl möglich sind und auch bei Jungen bzw. Männern möglicherweise häufiger vorkommen, als gemeinhin angenommen wird, gleichwohl sind sie eben nicht die Regel.

Die aktuelle Entwicklung hin zum stärker selbstmodellierten männlichen Körper (als populäres Beispiel galt lange der britische Fußballer David Beckham), der Männlichkeit vom körperbezogenen Arbeiterhabitus ablöst, münden erst langsam in eine gesellschaftlich akzeptierte und allgemein gültige Männlichkeitspraxis. Zusätzlich kann diese Entwicklung macht­kritisch als neue Technologie einer gouvernementalen Selbstherrschaft ana­lysiert werden (vgl. Foucault 2000; Budde 2006). Gleichwohl bieten sich auch subversive Potentiale, die durch eine Überbetonung der Starrheit in der Konzeptionierung von männlichen Körpern nicht gesehen werden können.

Fußnoten:

(1) Zur Theoretisierung von Männlichkeiten bietet sich als Ausgangpunkt das vielfach rezipierte Konzept von Raewyn (Robert) Connell an. Mit Connell
können wir annehmen, dass es nicht nur eine Form von Männlichkeit gibt, sondern ein System hegemonialer Männlichkeiten (vgl. Connell 1999), in dem unterschiedliche „configurations of practice“ (Connell 1995: 84) – also unterschiedliche Handlungsmuster – existieren. Er unterscheidet zwischen hegemonialen, komplizenhaften, untergeordneten und marginalisierten Männlichkeiten. Eines der wesentlichen Herstellungsmuster von Männlichkeit ist die Aushandlung von Exklusion und Inklusion innerhalb der geschlechtshomogenen Gruppe (vgl. Budde 2003a). Dabei wird in sozialen Interaktionen verhandelt, welche Männlichkeitsinszenierungen als anerkannt und legitim gelten – und welche als abweichend und damit unmännlich ausgegrenzt werden. Exklusion und Inklusion sind in dieser Doppelbewegung so untrennbar aneinander gebunden, wie die berühmten beiden Seiten der gleichen Medaille. Dies führt zu Marginalisierungen von jenen Männlichkeiten, die als abweichend angesehen werden. Zugehörig – und somit legitim – gelten im Umkehrschluss diejenigen Männer, die sich weitestgehend gemäß den hegemonialen Erwartungen verhalten. Die Marginalisierung definiert die Grenze zwischen legitimen und illegitimen Männlichkeiten als Norm. Dabei lassen sich beispielsweise bei männlichen Jugendlichen als zentrale Strategien zur Normregulierung symbolische Verweiblichung abweichender Männlichkeit (häufig im Zusammenhang mit der Unterstellung von Homosexualität), Entwertung, Ironie sowie Sexualisierung gegen Mädchen herausarbeiten (vgl. Budde 2003a; 2005). Die Marginalisierung zur Herstellung von Männlichkeit hebt generell darauf ab, das „Abweichende“ oder „Außergewöhnliche“ sichtbar zu machen, zu markieren und damit als unnormal und geringerwertig zu stigmatisieren. Marginalisierung ist somit kein nachgeordnetes Resultat – quasi ein „Abfallprodukt“, sondern grundlegender Bestandteil der Herstellung von Männlichkeit. Das im modernen Europa gültige Konzept von Männlichkeit ist somit ohne Marginalisierung nicht realisierbar. Gemeinsamer Bezugspunkt ist hegemoniale Männlichkeit, die auch in Ablehnung, Unterordnung oder Marginalisierung als Orientierungsfolie dient. Der Gedanke, dass zur hegemonialen Männlichkeit ein marginalisierter Gegenpart existiert, findet sich auch in anderen Untersuchungen (vgl. z.B. Meuser 1998) wieder.

Literatur:

Bourdieu, Pierre (1992): Die verborgenen Mechanismen der Macht, Schriften zu Politik und Kultur 1. Hamburg.

Budde, Jürgen (2003a): Männlichkeitskonstruktionen in der Institution Schule. In: Zeit­schrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien, Jg. 21/ Heft 1, S. 91-101.

Budde, Jürgen (2003b): Interaktion und Distinktion. In: Janecke, Christian (Hg.): Haar tragen – Frisuren in und auf den Köpfen. Köln/ Wien/ Weimar, S. 209-220.

Budde, Jürgen (2005): Männlichkeit und gymnasialer Alltag. Bielefeld.

Budde, Jürgen (2006): Legitimierungsstrategien männlicher Herrschaft. In: Lemke, Meike/ Ruhe, Cornelia/ Woelki, Marion/ Ziegler, Beatrice (Hg.): Genus Oeconomicum. Ökonomie – Macht – Geschlechterverhältnisse. Konstanz, S. 37-49.

Butler, Judith (1998): Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Hamburg.

Connell, Raewyn (Robert) W. (1995): Masculinities. Berkeley/ Los Angeles.

Connell, Raewyn (Robert) W. (1999): Der gemachte Mann. Opladen.

Foucault, Michel (2000): Die Gouvernementalität. In: Bröckling, Ulrich/ Krasmann, Su­sanne/ Lemke, Thomas (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/ M., S.41-67.

Meuser, Michael (1998): Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kultu­relle Deutungsmuster. Opladen.

Theweleit, Klaus (1995): Männerphantasien Band 2: Zur Psychoanalyse des weißen Ter­rors. 2. Aufl. München.

Mit freundlicher Genehmigung des Unrast-Verlages.
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