Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Knappe Schilderung des Unterrichts- bzw. Projektverlaufs an zwei Schulen

Zum besseren Verständnis der Aussagen wird im Folgenden kurz der Ablauf der besprochenen Projekte umrissen.

1. Fall:

Herr A. führte an der A.-Schule ein „Filmprojekt“ (A., Z. 24) mit einer Gruppe von zehn Schülerinnen und Schülern (A., Z. 156) aus der sechsten Jahrgangsstufe (A., Z. 308) seiner Grundschule durch. Der hohe Anteil von Kindern mit Emigrationshintergrund an der Schule bedingt viele Teilungsstunden. Deshalb findet der Kunstunterricht, der Schwerpunkt des Schulprofils ist, dort in Teilungsgruppen von ca. zehn Kindern statt. Diese sechste Klasse ist eine Integrationsklasse, d. h. Regel-Schülerinnen und -Schüler werden gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern unterrichtet, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben; in diesem Fall handelt es sich um lernbehinderte Schülern. Ferner sind hier die fehlenden deutschen Sprachkenntnisse prägend. Thema des 15- bis 20-minütigen „Mini-Dokumentarfilms“ (A., Z. 59) war die nach Aussagen von Herrn A. positive Veränderung des Schulkonzepts in den letzten drei Jahren, seit einer neuen Schulleitung neue inhaltliche Schwerpunkte gesetzt habe (A., Z. 68-78). Im Zuge dieser Konturierung des Schulprofils („Profilierung der Schule, (…) wie stellen wir uns dar im Vergleich zu anderen Schulen hier im Kiez“; A., Z. 156), sah Herr A. das Medium Film als „das beste Mittel“ (A., Z. 87) an, diese Veränderungsprozesse „authentisch“ (A., Z. 82) deutlich zu machen. Da Herr A. nach eigenen Aussagen nicht über die technisch-medialen, die medienspezifisch ästhetischen Kompetenzen sowie Geräte-Ausstattungen verfügt, einen Film herzustellen, entschied er sich im Zusammenhang und mit Unterstützung des Modellvorhabens „Kinder machen Kunst mit Medien“ für den außerschulischen Partner „Kunstverein F.stadt e.V.“ (A., Z. 26). „Die wiederum haben mehrere Spezialisten in ihrem Kunstverein unter anderem jemand, der sich gut auskennt mit dem Bearbeiten Bearbeiten von Filmen am i-Book“ (A., Z. 26-28). Mit diesem Experten des Kunstvereins – dem außerschulischen Partner der A.-Schule – wurde die ursprünglich von Herrn A. entworfene Filmidee zur dokumentarischen Darstellung der Schule vom „Minidrehbuch“ (A., Z. 95-96) bis zum fertigen Ergebnis projektorientiert in einem Zeitraum von mehreren Monaten verwirklicht. Kurzzeitig kamen weitere Experten unterstützend hinzu, die Herr A. als „Profi-Regisseurin“ und „Profi-Cutter aus Südamerika“ benennt, „die zur Zeit der Berlinale gerade bei uns waren und Jugendprojekte leiteten“ (A., Z. 109-110). Der Film bekam „viel Lob“ (A., Z. 662) von Seiten einzelner Fernsehsender bis hin zur Präsentation auf einer Bildungsmesse (A., Z. 619).

2. Fall: Auch der Lehrer Herr B. führte an der B.-Schule ein Filmprojekt mit einer Gruppe von zehn Schülerinnen und Schülern (B., Z. 629-630) der vierten Jahrgangsstufe durch. Die B.-Schule ist eine Sonderschule für Schwerhörige mit dem Förderschwerpunkt „Hören“. Dieses verlief in Phasen, integrierte zwei unterschiedliche außerschulische Partner und erstreckte sich ebenfalls über einen Zeitraum von mehreren Monaten (B., Z. 335-341). In einer ersten Phase stand die Kooperation mit einem „Musiker“, der u.a. unabhängig von Schule als Selbstständiger Einzelunterricht erteilt (B., Z. 50-56), im Vordergrund. Dieser außerschulische Partner war über das KuBiM-Modellvorhaben „Kinder machen Kunst mit Medien“ mittels Werkvertrag (B., Z. 163) eingebunden. Dieser Partner (im Folgenden „Musik-Partner“ genannt) besuchte die Klasse über vier Wochen hinweg ein- bis zweimal in der Woche (B., Z. 64; Z. 940-941). Man betrachtete gemeinsam Stummfilme und erkundete, wie sich die Wirkung eines Films (Spannung oder Witz) mit unterschiedlichen Musikuntermalungen veränderte. Der Musik-Partner an der B.-Schule nutzte hierfür vor allem seine Gitarre, die er mitbrachte, um Live-Musik zu machen, was bei den Kindern nicht nur eine „hohe Faszination“ (B., Z. 175) auslöste, sondern auch eine „hohe Motivation“ (B., Z. 175), sich mit der Wirkung von Filmmusik auseinander zu setzen. In der zweiten Phase schrieben Herr B. und die beteiligten Kinder ohne außerschulischen Partner über einen Zeitraum von vier Wochen (B., Z. 606-607) hinweg das Drehbuch für den anzufertigenden Stummfilm. Herr B. hatte im Vorfeld an einer Fortbildungsmaßnahme teilgenommen, um sich das Know-How hierfür anzueignen (B., Z. 137-147). Aus einer Vielzahl von Drehbuchideen und über den Zwischenschritt, dass jeder der Heranwachsenden ein eigenes Drehbuch schrieb, einigte man sich letztlich auf eine Drehbuchversion, bei der dann alle gemeinsam Szenenauswahl und Szenenfolge bestimmten (B., Z. 642-645). Inhalt ist ein „Sozialdrama“ im familiären Bereich, bei dem es um Alkoholprobleme, Mord und Selbstmord geht. (Eine Dokumentation findet sich unter: http://reinfelder-schule.bei.t-online.de/fr-mord.htm) Dritter Schritt waren darauf folgend das Proben und Spielen der Szenen vor der Kamera im Schulgebäude sowie der Filmschnitt. Diese dritte Phase wurde von einem zweiten außerschulischen Partner betreut (im Folgenden „Film-Partner“ genannt). Dieser Partner wurde unabhängig vom KuBiM-Programm über die Initiative „Kids on Media“ (in Verbindung mit einer Lehrerfortbildung) ermittelt und gewonnen bzw. für eine Projektwoche „ausgeliehen“; ein Angebot, das für alle Schulen der Stadt bestand, wie Herr B. betont (B., Z. 137-141). Dieser ‚Film-Partner‘ der B.-Schule – wenn auch kein Pädagoge oder Lehrer – war geübt mit dieser Form schulischer Filmprojekte und vertraut im Umgang mit Schülerinnen- und Schülergruppen, so dass Herr B. hier weniger in die Abläufe eingreifen musste als bei der Integration des ‚Musik-Partners‘. In einer abschließenden vierten Phase kam der ‚Musik-Partner‘ aus der ersten Phase wieder mit hinzu. Er hatte aufgrund des Films zu Hause verschiedene Musikstücke für die unterschiedlichen Filmsequenzen für die Klasse zur Auswahl komponiert. Diese Versionen hörte man sich zu den Sequenzen jeweils an und entschied sich gemeinsam für die einzelnen Musikunterlegungen. Der ‚Musik-Partner‘ der B.-Schule komponierte die Stücke digital und konnte vor Ort in der Schule auf Wunsch die Musik verändern und nachbearbeiten (B., Z. 121-132). Die Klasse sammelte hierbei mediale Erfahrungen mit musikspezifischer Software, die Bilder und Töne aufeinander abstimmt (B., Z. 713-714). Im Gespräch und Entscheidungsprozess mussten ästhetische Urteile gesucht und begründet werden. Am Ende stand eine „Premierenfeier“ (B., Z. 716), in der der Stummfilm u. a. vor der Elternschaft uraufgeführt wurde, ein Ereignis, das Herr B. im Kontext des Schulprogramms verortet (B., Z. 715-719).

Die Kooperation aus unterschiedlichen Perspektiven

1.Lehrperson

Wenn „Fremde“ in Form von außerschulischen Expertinnen bzw. Experten in der Schule tätig werden, dann führt dies zu Veränderungen im schulischen Feld, die vor allem die Einstellungen, das Verhalten und das Handeln der bisher im Feld befindlichen Personen betreffen. Diese Veränderungen zeigen sich sowohl auf der institutionellen Ebene als auch in der Schulklasse, in der ein außerschulischer Partner agiert. Im Folgenden werden zunächst die Einstellungen, Wünsche und auch Rollenveränderung analysiert, die die Lehrerin bzw. den Lehrer betreffen. Das Interesse liegt hierbei auf der Lehrperson, weil sie die „Schaltstelle“ für die Kooperation mit einem außerschulischen Partner ist. Sie initiiert in der Regel die Einladung der externen Partner, integriert den außerschulischen Experten und begleitet die Prozesse im Unterricht. Gegenüber der Schulleitung und den Schülerinnen und Schülern (möglicherweise auch gegenüber der Elternschaft) begründet die verantwortliche Lehrerin bzw. der Lehrer die Notwendigkeit des zeitweisen Zurückgreifens auf einen außerschulischen Experten. Dieser zentralen Rolle der Lehrperson wird das Forschungsdesign in der Weise gerecht, dass fokussierte Leitfadeninterviews mit zwei Lehrern über ihre Erfahrungen in diesem Bereich geführt wurden. Mittels deren Aussagen werden in weiteren Kapiteln Veränderungen analysiert, die sich auf die Schülerinnen und Schüler (vgl. Kap. 5.2) sowie auf Schule als Institution und ihr pädagogisches Selbstverständnis (vgl. Kap. 5.3) beziehen.
Eine wichtige Motivation für Lehrende, einen außerschulischen Partner in den Unterricht zu integrieren, ist die Erweiterung des eigenen Erfahrungsbereichs, die Selbstqualifikation, die indirekt Effekte einer Fortbildungsmaßnahme haben kann. Insbesondere Herr A. betont diesen Aspekt, aber auch Herr B. benennt Auswirkungen in Richtung einer Qualifikation, er sieht sich als Lernender. Aussagen zur Selbstqualifikation finden sich zu drei Themenbereichen:

Technisch-mediale Kompetenzerweiterung

Der außerschulische Partner bringt „Fachwissen“ (A., Z. 523, 531) in den schulischen Unterricht ein, von dem Herr A. sagt, dass er dies zuvor nicht besaß (A., Z. 529f.). Er konnte schauen, „wie geht der Profi ran“ (A., Z. 103). Ganz zu Beginn des Interviews nach seinen Erwartungen in Hinblick auf die Kooperation befragt, äußert er sich folgendermaßen: „Vorstellungen, Wünsche hatte ich sehr viele, zum Beispiel, oder eines der Wesentlichen war, dass ich selber als Lehrer durch die außerschulischen Partner mehr qualifi, also besser qualifiziert werde. Na, mit neuen Medien. (…) Das ist für mich tatsächlich, ne äh, ne Motivation gewesen, mich drauf einzulassen. Sonst hätt ich gesagt, o.k., machen wir´s ohne außerschulischen Partner, geht ja auch. So, und das waren so, das war sozusagen die Hauptmotivation, warum ich dran gedacht habe, die mit einzubeziehen“ (A., Z. 34-41). Am letzten Teil des Zitats wird zudem deutlich, dass die Entscheidung zur Kooperation bei der Lehrkraft lag. Kurz zuvor nutzt er die Formulierung: „(W)ir haben uns den Kunstverein F.stadt e.V. auserwählt als freien Träger“ (A., Z. 26).

Herr A. dokumentierte konsequent u. a. die technischen Aspekte der beobachteten Arbeit des Film-Experten in Form einer „Projektbeschreibung“ (A., Z. 450), z. B. „die Befehle, die man (am Laptop) eingeben muss, um etwas zu machen“ (A., Z. 452). Er tat dies mit der von ihm selbst gesetzten „persönlichen Zielstellung“ (A., Z. 443), später ein ähnliches Projekt selbstständig durchführen zu können. Diese „Dokumentation des Filmprojekts“ (A., Z. 461f.) legte Herr A. abschließend als Script in das Portfolio des Films (A., Z. 460f.), so dass auch andere Lehrende später einen Nutzen hieraus ziehen können. Er stellt sich die selbstkritische Frage: „(B)ist du denn jetzt selbst fit, so´n Film zu drehen, kannst du das ohne Vertragspartner?“ (A., Z. 338) und weiter: „Kannst du die Kamera so bedienen, kannst du das Filmmaterial so transportieren, dass die Kinder das auf ihre Rechner bekommen, dass die Schüler das mit, mit ihren Schneideprogrammen bearbeiten können? Ja, da komm ich schon ins Zweifeln, nicht, wo ich sage, hmhmhm, da werd ich wahrscheinlich jemanden brauchen, wo am Handy dann, der mich ständig begleitet und meine vielen Fragen beantwortet. Weil du natürlich auch wieder vieles vergisst im Laufe der Zeit.“ (A., Z. 340-345) Die erhoffte und erwartete Nachhaltigkeit im Bereich der indirekten technisch-medialen Selbstqualifikation innerhalb des Modellvorhabens bleibt für Herr A. weitgehend aus. Dieser Enttäuschung macht er sich im weiteren Verlauf des Interviews Luft: „(D)as ist ne ganz linke Kiste eigentlich, nicht, äh, das soll ja so sein, dass die Kollegen lernen, mit neuen Medien besser umzugehen. Damit sie irgendwann mal auch auf eignen Füßen stehen können diesbezüglich und an der Schule mit, mit neuen Medien arbeiten. Aber was ich so sehe, also bis auf wenige Ausnahmen im KuBiM-Projekt sind die meisten doch sehr angewiesen auf ihre Werkvertragspartner.“ (A., Z. 382-387) Den hierauf folgenden Einwurf der interviewenden Forscherin, Aufgabe der außerschulischen Partner in den Projekten sei es nicht, die Lehrenden fortzubilden (A., Z. 391-392), lässt Herr A. nicht gelten: „(I)ch persönlich erwarte von mir, dass ich nach Beendigung der KuBiM-Projekte qualifiziert genug bin, um mit neuen Medien zu arbeiten.“ (A., Z. 404-405)

Selbst wenn man auf dem Standpunkt steht, dass ein Projekt mit einem außerschulischen Experten in einer Schulklasse freilich nicht die Auswirkungen einer technisch-medialen Fortbildung für die Lehrkraft haben kann, so ist das Bedürfnis von Herrn A. dennoch ernst zu nehmen. Ein Lernbedarf sollte stets beachtet und wertgeschätzt werden und ihm wäre zukünftig in dem Sinne Rechnung zu tragen, dass mit solchen Projekten bereits gewisse Fortbildungsmodule gekoppelt sind. Es ist davon auszugehen, dass solche Weiterqualifizierungen in den stattgefundenen Projekten meist indirekt und informell passierten (wie das Verhalten von Herrn A. zeigt), sie sollten jedoch zumindest für entsprechend Interessierte auch konzeptionell eingebunden werden. Bei Herrn B. ist dieser Qualifizierungsbedarf bzw. die Erwartung hiernach ebenfalls festzustellen. Er besuchte jedoch eine einführende Fortbildungsveranstaltung (die nicht an das KuBiM-Programm gekoppelt war, sondern an die lokale Lehrerfortbildung LISUM), in der er mit den Grundlagen der Filmproduktion und dem Drehbuchschreiben vertraut gemacht wurde („Wie macht man einen Film?“; B., Z. 142). Dies gab ihm die Sicherheit, Phasen des Projekts an der B.-Schule (vgl. Kap. 4, 2. Fall) sogar selbstständig durchzuführen (B., Z. 141-147).

Ästhetische Kompetenzen

Der Qualifizierungsbedarf der Lehrenden erschöpft sich nicht im Technisch-Medialen, sondern berührt darüber hinaus gerade auch im Kontext der bildnerischen Gestaltung mit Medien ästhetische Aspekte. Herr A. spricht von „ästhetischen Schwerpunkten beim Filmen“ (A., Z. 525) und benennt sowohl Fragen als auch Kriterien und Einsichten: „(V)on welcher Seite ist es vorteilhaft zu beleuchten zum Beispiel, ja, oder, wie, äh, was ist nun äh, mit, mit Totalaufnahmen oder Teilaufnahmen, was ist besser, was ist schlechter, was ist vorteilhafter, was passt besser zur, zur Aussage der Filmeinheit? Das hat er (der außerschulische Partner), das hat er auch ganz geschickt gemacht und mit ihnen (den Kindern) besprochen, auch exemplarisch, das wusst ich alles überhaupt gar nicht.“ (A., Z. 525-530) Wenn Herr A. die Experten „von der ästhetischen Seite her“ als „außerordentlich anspruchsvoll“ (A., Z. 136f.) bezeichnet, dann bedeutet dies auch in Verbindung mit dem ersten Zitat, dass er von deren Kompetenz auf diesem Gebiet versuchte zu profitieren. Herr B., der zuvor mit den Grundlagen des Konzipierens von Drehbüchern und des Filmens in einer Fortbildungsmaßnahme vertraut gemacht wurde, erhielt ebenfalls direkte ästhetische Anregungen durch den außerschulischen Partner, beispielsweise wie „die Musik Wahrnehmung strukturiert und beeinflusst.“ (B., Z. 68f.) Die Idee, einen Stummfilm zu drehen (B., Z. 149-151), beruhte auf einer Anregung des ‚Musik-Partners‘, da sich die Klasse an der B.-Schule aus „schwerhörige(n) Kinder(n)“ (B., Z. 148) zusammensetzt. Die Kooperation mit den außerschulischen Partnern machte Herrn B. vertraut mit den spezifischen ästhetischen Implikationen dieses Film-Genres, die sich auf die Produktion, aber auch auf die Wahrnehmungsweisen der zukünftigen Zuschauer beziehen (B., Z. 115f.).

Pädagogisch-didaktische Kompetenzen

Die bedeutendste Gewichtung im Bereich der Selbstqualifizierung der beiden interviewten Lehrenden nahm die Sensibilisierung für das eigene professionelle Handlungsfeld Schulklasse und Unterricht ein. Herr A. und Herr B. profitierten beide von der Möglichkeit, ihre Schülerinnen und Schüler intensiv zu beobachten und über ihre Beobachtungen zu reflektieren, während der außerschulische Partner agierte. Herr B. berichtet beispielsweise, es sei „spannend (…) zuzugucken, wie die Schüler sich in ihre Rollen einfinden, äh, wie sie da, äh, Erfahrungen sammeln, sich spüren, äh, wie sie in, in Hinblick auf ein Produkt plötzlich sehr stringent auch arbeiten, also sehr zielorientiert, dass sie die Sache fertig machen wollen, sich gegenseitig in die Pflicht nehmen, so nach dem Motto: Hier hör mal, wenn du jetzt Scheiß machst, dann kippt das ganze Projekt. Also, reiß dich zusammen. Also da war halt einfach ´n Sinnzusammenhang, ne. Und alle wollten am Ende den Film haben. Und für diese Sache hat man sich halt reingekniet und war denn auch diszipliniert.“ (B., Z. 671-678)

Für Lehrer, die sich im Unterricht unter einem stetigen Handlungsdruck befinden und im Mittelpunkt stehen, ist es normalerweise nicht möglich, in Ruhe zu beobachten. Die Beobachtung und die hierauf folgende Reflexion des eigenen Feldes ist aber ein zentrales Merkmal pädagogischer Professionalität. Die Lehrer initiierten also während des Projekts mit dem außerschulischen Partner selbstqualifizierende Maßnahmen. Dieses Bedürfnis und diese Wirkung könnten professionell vertieft und begleitet werden, wenn nicht in Supervisionen, so doch in Intervisionen, in denen die Projekt-Beteiligten sich über ihre Beobachtungen und Erkenntnisse austauschen, u. a. um übergreifende feldimmanente Strukturen zu entdecken und gemeinsam veränderte Handlungsstrategien zu entwickeln. Aus dem Zitat von Herrn B. wird ferner deutlich, wie aufschlussreich es für ihn war, durch den Partner andere pädagogische Situationen zu erleben, das Verhalten des Partners zu analysieren und hieraus auch rückwirkend auf das eigene alltägliche Verhalten zu schließen. Eingefahrene Vorstellungen werden in Frage gestellt, indem er beispielsweise beobachtet, dass die Schüler „diszipliniert“, aus eigenem Antrieb und mit Engagement im Projekt arbeiteten. Eingefahrene Vorstellungen stellt auch Herr A. durch seine Beobachtungen in Frage, indem er den außerschulischen Partnern (dem Filmteam) attestiert, dass sie „sehr unbedarft, sehr offen, sehr verständnisvoll mit den Schülern umgingen“ (A., Z. 172f.). Er beobachtete, dass sie „auch viel mehr zulassen konnten, (…) (W)ir haben am Tisch gesessen und die Aufgaben besprochen und der Vertragspartner hat dann eben zwischendurch auch zugelassen, dass Kinder davon abweichen durften. (…) Ich hätt’s nicht getan. Wir haben einen Plan, und das machen wir jetzt auch so. Punktum. Wir sind ein Team und da kann nicht jeder machen, was er will. Doch das hat den Kindern, das hat den Kindern gut getan. Also ich bin, ich denke schon, dass prinzipiell auch gut ist, wenn Nicht-Lehrer, Nicht-Pädagogen in die Schule steigen, und sich der Arbeit mit Kindern widmen. Das ist, also für mich ist es in jedem Fall ne Bereicherung.“ (A., Z. 173-182) Herr A. evaluiert in dieser exemplarischen Aussage das eigene alltägliche Lehr-Verhalten eindeutig kritisch dadurch, dass er alternatives Handeln beobachten kann, das offenbar zum Erfolg führt. (s. vergleichbare Aussagen zu diesem Themenkomplex von Herrn B. Z. 278-280)

Als Lehrer neue Funktionen einnehmen: Organisator, „Manager“

Sowohl Herr A. als auch Herr B. erleben sich selbst im Unterricht mit dem außerschulischen Partner in einer neuen Rolle. Dies ist bereits dadurch bedingt, dass Anteile ihrer üblichen Lehrfunktion durch den Partner übernommen werden, z. B. Wissensvermittlung durch Erklären, Zeigen und Helfen. Hierdurch entsteht ein Frei- oder auch Spielraum, was zu einer zunächst versuchsweisen Flexibilisierung im Verhalten von Herrn A. und Herrn B. führt. Beide berichten übereinstimmend – aber unabhängig voneinander – , dass sie verstärkt organisatorische Funktionen übernehmen. Herr A. nutzt die Bezeichnung „Manager“, um seine Tätigkeit zu umreißen: „Meine Rolle war gewesen, dass ich sozusagen mich darum kümmere, dass dieser gesamte Ablauf organisiert wird. Ich hab das, ich hab mich da mehr als Manager gesehen, nich. Ich habe also, äh, die Termine gemacht, ich habe die Kinder vorbereitet, ich habe die Einweisung an den Geräten vorgenommen, immer dafür gesorgt, dass alle Akkus aufgeladen waren, dass alles funktionierte im Vorfeld“ (A., Z. 476-480). Herr B. bezeichnet seine Tätigkeit während der Projektwoche der Filmaufnahmen als „Rahmenorganisation machen“ (B., Z. 276f.) oder „Organisieren“ (B., Z. 301). Während der Sequenzen mit dem ‚Musik-Partner‘, der die Stummfilmmusik mit der Klasse erarbeitete, musste Herr B. zwar stärker in den Unterricht eingreifen als beim „Film-Partner“, doch auch hier musste er „das Vorgehen planen, strukturieren und ihn (den außerschulischen ‚Musik-Partner‘) dann an den entscheidenden Stellen einbinden“ (B., Z. 411-412)

Dieses Teil-Ergebnis konsequent weitergedacht, hieße, dass die Lehrer solche Funktionen im schulischen Unterricht einnahmen und solche Verhaltensweisen ausprobierten, die den Grundzügen einer konstruktivistischen, teils systemtheoretisch fundierten Didaktik sehr ähnlich sind (Kösel 3 1997; Reich 2002). Somit enthielte die Kooperation insbesondere die Chance, solche innovativen Formen der Didaktik nicht durch Bücher und Texte zu rezipieren, sondern selbst am eigenen Leibe zu erfahren. Lehrende strukturieren in diesem Sinne das Feld vor, sie stellen eine anregende Lern-Umgebung zur Verfügung, sie sind die Lernhelfer. Schon 1988 formulierte Gert Selle für die Kunstpädagogik: „Man ist Anstifter einer einleitenden Folge experimenteller Übungsschritte nach eigenem Vorwissen, Entwurf und Plan. Doch schon mit dem ersten Schritt wird man zum beobachtend-reagierenden Organisator noch unsicherer Erfahrung in einem Prozeß, der rasch seine Eigendynamik entwickelt und niemals als geschlossenes Curriculum vorstrukturiert oder weitergeplant werden kann.“ (Selle 1988, S. 335). Selle nannte diese Tätigkeit als „Organisator, Beobachter“ (Selle 1988, S. 335) für die Kunstpädagogik „Bildungsvor- und Mitarbeit“ (Selle 1990, S. 25). Bezeichnenderweise benutzt Herr A. das Wort „zulassen“ (A., Z. 173, 175; vgl. Zitat in Kap. 5.1.3) als eine unter pädagogischen Gesichtspunkten zu pflegende Tugend, wie sie beispielsweise ebenfalls vom Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen aufgrund konstruktivistischer Selbstorganisationsmodelle vertreten wird (Lenzen 1992, 1997; Peez 1994). „Teilhabe“ und „Zulassen“ stehen in Verbindung mit der Idee nach Akzeptanz und Bejahung des anderen in der Erziehung (Lenzen 1992a, S. 75).

2. Schülerin / Schüler

Förderung von Medienkompetenz in technisch-medialer und ästhetischer Hinsicht

Die Schülerinnen und Schüler profitieren in vielfältiger Weise von den Kooperationen mit den außerschulischen Partnern. Ihre Medienkompetenzen werden sowohl auf praktischen als auch auf rezeptiven Gebieten gefördert. Wie beispielsweise ein Dokumentarfilm von 15 bis 20 Minuten entsteht, „(d)as hat die Schüler interessiert und sie haben auch sehr wohl begriffen, dass ihre, ihre mannigfaltigen Aufnahmen von 2,5 Stunden Länge, so nicht stehen bleiben können. Ja, und damit haben sie auch schon mal begriffen, und ich auch, dass natürlich beim Filmen wahrscheinlich immer ganz viel Material in´ Kasten kommt, und letztendlich beim Prozess des Bearbeitens sozusagen ein, ein Surrogat entsteht.“ (A., Z. 60-64) Die Heranwachsenden haben nicht nur ‚hinter die Kulissen geschaut‘, sondern sie haben die Entstehung eines Filmes selbst authentisch handlungsorientiert vollzogen; und dies unter professionellen Bedingungen und mit professioneller Ausstattung. Als Lernergebnis kann für sie gelten: „(D)ie haben Wissen mitbekommen, wie so´n Film so ganz partiell zusammengebaut wird. Und wie er entsteht, wie er geschnitten wird und was man so alles mit diesen Bildern machen kann“ (A., Z. 157-159) Dieses „Fachwissen“ (A., Z. 523) im „Umgang mit Medien“ (A., Z. 157-159), dieses angeeignete „Medien-Verständnis“, wie es Herr B. nennt, umreißt Herr A. folgendermaßen: „a) was braucht man an materiell-technischer Basis oder Ausrüstung für das Filmen und b) wie bekomm ich das, was ich da auf der Videokamera habe, umgewandelt in einen Dokumentarfilm? Wie schaff ich das, dieser ganze Prozess mit den vielen Schritten? Das haben Kinder begleitet, das haben Kinder ausprobiert und das haben Kinder auch bearbeitet.“ (A., Z. 612-615) Dass neben diesen Handlungen auch grundsätzliche Reflexionen über Medien und filmische Mittel ausgelöst wurden, kann Herr A. lediglich vermuten: „Standbilder (…), Schnittstellen, harte Überblendung, fließend, das sind ja, sind ja so Sachen, die man denn einmal, denk ich mal, reflektiert hat in so einem Projekt, auch als Schüler. Und ich hoffe, dass man dann (Worte?) mitbekommt, wenn man den nächsten Film sieht, ja, dass Schüler also auch kapieren, welche Mittel angewendet werden. Zu mehr hat´s nicht gereicht, ja, also wir kamen nicht, wir kamen nicht auf die Schiene, äh, inwieweit kann Film manipulativ eingesetzt werden. (…) (A)ber das wäre vielleicht, ist wieder Thema eines anderen, anderen, eines anderen Projekts gewesen.“ (A., Z. 159-166) Auch wenn das Ziel einer Befähigung zur Medienkritik – ein elementarer Teil der Medienkompetenz – nicht dezidiert und überprüfbar erreicht wurde (für eine empirische Überprüfung hätten vor allem Schülerinterviews durchgeführt werden müssen), so wurde im filmischen Gestalten an der B.-Schule durchaus die Wirkung der eigenen Handlung für die Film-Rezeption durch Fremde mitbedacht. Denn der außerschulische Partner hatte für die einzelnen Sequenzen des Stummfilms „jeweils zwei bis vier Musikvorschläge gemacht, die wir dann in der Schule mit den Kindern uns angehört haben zu dem Film und überlegt haben, welche dieser Musik ist die, die am besten dazu passt. (…) Immer im Hinblick auch auf Wirkung. Also welche Wirkung hat diese Musik.“ (B., Z. 113-116) In Bezug auf die mediale Rezeption mussten von den Heranwachsenden ästhetische Urteile nicht nur gefällt, sondern auch gegenüber den anderen der Gruppe der Gleichaltrigen begründet werden, wodurch ein Bewusstsein über die Gestaltungsmittel in einem synästhetischen Kontext gefördert wurde und Reflexionen erfolgten. Herr B. berichtet aus dieser Phase: „(U)nd die Schüler haben dann gesagt, diese Version wollen wir aus dem Grund nehmen. Und dann hat er (der außerschulische „Musik-Partner“) die, äh, anschließend, äh, noch Veränderungen aufgenommen, also wenn die Schüler sagten, da möchten wir ein bisschen mehr Beat haben, oder, äh, da muss noch an der Stelle vielleicht ein bisschen Drum rein oder was auch immer“ (B., Z. 122-126). Diese Förderung von Aspekten der Medienkompetenz erfolgte in den untersuchten Fällen in ihren entscheidenden Anteilen durch die Kooperationen mit den außerschulischen Partnern.

Förderung sozialer und ästhetischer Kompetenzen durch Teamarbeit

Herr B. betont, dass in der Projektwoche, in der der Film erstellt wurde, von den Schülerinnen und Schülern „ganz viel, auch im Sozialen gelernt wurde“ (B., Z. 282). Auch nach Aussagen von Herrn A. erfolgte „soziales Lernen von Nicht-Pädagogen“ (A., Z. 622); ein Aspekt, der in Zusammenhang steht mit weiter oben bereits erörterten Aspekten der Beobachtungen durch die Lehrer. Herr A. führt dies im Gespräch näher aus: „Positiv ist, dass, dass Schüler sozusagen von Nicht-Pädagogen lernen. Das ist positiv, weil, da ist ne Lockerheit, ne Ungezwungenheit im Umgang mit den Kindern, die is, die ist einfach phantastisch. Nicht, die Kinder werden dann auch lockerer, das hab ich so auch gemerkt, das ist klar. Zum einen, so was, was soziales Lernen angeht.“ (A., Z. 607-610) Da sowohl im Unterricht an der A.-Schule wie an der B.-Schule Filme erstellt wurden, wurden Kooperationen der Schülerinnen und Schüler untereinander besonders gefördert. Solche Filmprojekte eignen sich dafür, soziale Kompetenzen einzuüben, denn alle arbeiten an einem zu erstellenden ästhetischen Produkt. Ein Erfolg kann nur gemeinsam erzielt werden, wenn alle Kompromisse eingehen sowie ihre speziellen Aufgaben gewissenhaft und in vereinbarten Zeitrahmen erfüllen. Es wurde den Heranwachsenden völlig einsichtig, dass professionelle Filme auch nur auf diese Weise entstehen können. Gruppenarbeit war deshalb kein Selbstzweck, sondern eine Voraussetzung, die auch in der Arbeitswelt ästhetisch-künstlerisches Arbeiten im Filmbereich beherrscht. Auf die Frage, welche Erfahrungen die Schülerinnen und Schüler gesammelt haben, antwortet Herr A.: „Na die haben, sie haben, die haben gewusst, dass sie, dass man die Arbeit im Team aufteilen muss, dass man Spezialisten haben muss für ´ne Kamera, für die Beleuchtung, selbst Kabelträ, Kabel tragen und Sicherheit, für Sicherheit sorgen, Spezialisierungen sind wichtig gewesen. Und äh, und dass die Leute eben auch immer wieder auskunftsfähig sein müssen, so. Das haben sie zum, zum ersten begriffen. Zum zweiten haben sie begriffen, wie das funktioniert, man geht raus, auf´n Acker und fängt an zu drehen. Und spielt auch ´n bisschen rum. Und das Filmmaterial, was du im Sack hast, wird gesichtet. Und dann wird´s verteilt an die Teammitglieder, damit sie (Worte?) die einzelnen, die einzelnen Filmabschnitte anschauen können und entscheiden können, was ist Käse, was ist gut. Oder was passt zum Thema.“ (A., Z. 317-325) Deutlich wird hierdurch zudem, dass auch ästhetische Entscheidungen und Urteile in der Kleingruppe erfolgen müssen.

Erfahrung ‚anderer‘, authentischer Formen des Lernens

„Klassischer Unterricht macht ´n Lehrer. Wenn jemand anderes kommt, dann ist das gar kein Unterricht.“ (B., Z. 192f.) Mit diesen Worten bringt Herr B. im Interview die Lernsituation, wie sie sich für die Schülerinnen und Schüler darstellte, auf den Punkt. Obwohl die Heranwachsenden viele Erfahrungen sammelten, sich Wissen und Kompetenzen aneigneten – Aspekte, die man zweifellos als ‚Lernen‘ bezeichnen kann – , bezeichnet Herr B. die Lernsituation als „kein Unterricht“. Schulunübliche Formen des Lernens sind in der Schule auch möglich. Diese Formen des Lernens zeichnen sich vor allem durch Authentizität aus: „Nicht irgendwelche Lehrbuchtexte oder Lehrbücher oder Arbeitshefte, sondern plötzlich ist da was Echtes. Da ist das Leben, was in die Schule kommt.“ (B., Z. 200f.) Der außerschulische „Film-Partner“ an der B.-Schule „war mal irgendwann ein richtiger Schauspieler und er hatte auch die große Kamera mitgebracht und das Stativ und er wusste auch, äh, sich zu positionieren. (…) (D)urch seine Professionalität“ hatte er „sozusagen schon diesen Autoritätsvorschuss“, „man ist aufmerksam, man ist neugierig“. „Und man merkt, äh, hier braucht man nicht über grundsätzliche Dinge diskutieren, der Mann kann, der Mann macht. Was der sagt, gilt.“ (B., Z. 376-393)

Schulischer Unterricht ist häufig durch Situationen des ‚Als-ob‘ bestimmt. Die Schülerinnen und Schüler erfüllen Aufgaben, deren Ergebnis die Lehrperson bereits vorab weiß. Oder Projekte werden nur um des Lernens willen durchgeführt, sie haben keine Bedeutung über den schulischen Unterricht hinaus. Vieles erscheint den Schülerinnen und Schülern beliebig häufig vorgedacht und wiederholbar, wie etwa Aufgabenstellungen in den Schulbüchern (B., Z. 200). Die Formen des Lernens in den Projekten mit den außerschulischen Partnern sind hingegen geprägt durch eine „hohe Faszination“ (B., Z. 175), ausgelöst durch das Handeln des außerschulischen Partners, was wiederum eine „hohe Motivation“ (B., Z. 181) der Heranwachsenden bedingt. Das gemeinsame gestalterische Handeln der Schülerinnen und Schüler steht für sie in einem „Sinnzusammenhang“ (B., Z. 676), es macht Sinn. Eine Einstellung der Heranwachsenden, die gegenüber den Unterrichtsinhalten von Aufmerksamkeit und Neugierde (B., Z. 386f.) geprägt ist, wünscht sich jede Lehrerin/ jeder Lehrer. Dieses besonders große Engagement der Schülerinnen und Schüler wird auch aus den lobenden Aussagen von Herrn A. ersichtlich: „Vor allem war´s ja bewundernswert, dass die Kinder so mitgemacht haben, das war gut, das war einfach gut. Die sind eben müde geworden, aber nicht mürrisch.“ (A., Z. 601-603)

Für die hohe Motivation ist nicht nur die Authentizität der Lernsituation verantwortlich, sondern auch die Originalität und Qualität des gemeinsam erstellten ästhetisch-medialen Produkts, beispielsweise des Stummfilms an der B.-Schule. Herr B. betont, er hätte „mit ner schönen Auswahl an CDs und Musikkassetten und Schallplatten“ (B., Z. 471f.) allenfalls lediglich fertige Musikstücke unter die gedrehten Filmsequenzen legen können. Doch erst der außerschulische Partner, der durch das KuBiM-Programm gewonnen wurde, ermöglichte die für kreatives Arbeiten und künstlerische Erfahrungen letztlich so wichtige Originalität: Der Vertragspartner „hatte das Instrument dabei und das war wichtig. Und, äh, das was er dann, die, die Musik, die ja nachher für den Film komponiert worden ist, die ist auch nur für diesen Film komponiert. Die gibt es sonst nicht.“ (B., Z. 475-477)

3. Institution

Aus den meisten bereits zuvor dargestellten Analysen wird deutlich, dass durch die Zusammenarbeit mit den außerschulischen Partnern die Institution Schule in ihrem Selbstverständnis berührt wird: Die Öffnung von Schule in Form der Kooperation mit fachlichen Profis flexibilisiert schulische Strukturen und Lernen in der Schule auf den unterschiedlichsten Ebenen. Die Nachhaltigkeit dieser Flexibilisierung sollte nach Aussagen der Lehrer jedoch noch verstärkt werden. Hierfür sind spezielle Maßnahmen anzuwenden (vgl. Kap. 6) und nach ihrer Durchführung zu evaluieren.

Faktor Zeit

Herr A. berichtet beispielsweise, dass er, ermutigt durch die Kooperation mit dem außerschulischen Partner, im Anschluss an das KuBiM-Projekt ein neues Medienprojekt – diesmal alleine ohne Unterstützung von außen – gestartet habe (A., Z. 593f.). Doch das alternative Zeitfenster Projektwoche, das für die außerschulische Kooperation innerhalb des Modellvorhabens „Kinder machen Kunst mit Medien“ vorhanden war, fehle ihm nun. Reguläre Unterrichtszeiten sind hinderlich, was sich in seiner Wortwahl bereits deutlich durch das Wort „hängen“ zeigt: „(J)etzt zum Beispiel hängen wir ja jeden Freitag von 8 bis 10 hier im Medienraum und machen unser neues Projekt (…) (D)as geht mir so auf´n Zeiger. (…) Puuhh, das ist furchtbar. Da is, is ne Projektarbeit am Stück besser, ob das nu ne Woche ist oder 14 Tage oder 3 Tage, is mir ja völlig wurscht, aber das ist einfach besser.“ (A., Z. 593-599). Der Wille zur Veränderung durch die Lehrperson wird zum Teil an den den Schulvormittag bestimmenden festen Zeitstrukturen des 45- bzw. 90-Minuten-Rhythmus’ gebrochen. Es sind also Zeiteinteilungen langfristig zu erkunden, auszuprobieren und anzuwenden, die die Nachhaltigkeit einer innovativen Maßnahme im Umgang mit Neuen Medien auch über die Flexibilisierung der Zeitraster in der Institution Schule stärken. So lassen sich statt kompakten Projektwochen einzelne Projekttage in den Unterricht einbauen (so genannte „Werkstatt-Tage“), zu denen eine Einladung an außerschulische Partner erfolgen kann.

Die Unterrichtseinheit zum Thema „Stummfilm“ an der B.-Schule integrierte vier unterschiedliche Zeitmuster, von denen Herr B. berichtet: Erstens kommt ein außerschulischer Partner dem Schulrhythmus gemäß ein oder zweimal pro Woche für zwei Stunden in die Schule (B., Z. 940f.). Zweitens konzipiert Herr B. projektorientiert, aber verbunden mit dem regulären Schulalltag, ohne außerschulischen Partner und über vier Wochen hinweg ein Drehbuch mit seiner Klasse (B., Z. 606f.). Drittens führt ein außerschulischer Partner mit der Gruppe eine Projektwoche durch (B., Z. 147). Und viertens beraumte Herr B. mit dem „Musik-Partner“ „einen Block“ (B., Z. 941) an, also offenbar keine ganze Woche, sondern ein Tag oder wenige Tage, in denen die Filmmusik fertiggestellt wurde. Eine solche Mischung unterschiedlicher Zeitmodelle, ein ‚kreativer Mix‘, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Flexibilisierung der institutionellen Zeitstrukturen. Zumal Herr B. eine Flexibilisierung der institutionellen Zeitstrukturen im Interview nicht einklagt, weil sie offenbar u. a. durch die geschilderten Projektstrukturen bereits vorhanden ist. (Wohingegen Herr A. davon spricht, dass innovatives Potenzial aus dem geförderten Projekt „verpufft“; A., Z. 335). Die Einheit an der B.-Schule zog sich über mehrere Monate (von Januar bis Mai) hin (A., Z. 335-341). Gleiches gilt für das A.-Schulprojekt. Auch dieser Umstand erhöht die Chance einer nachhaltigeren Veränderung von Schule. Zugleich spricht sich Herr B. für klare, deutlich erkennbare und planbare Zeitrahmen aus: „(Ü)ber die Woche hinaus sollte man, also noch `n größeres Filmprojekt sollte man nicht machen. Äh, also dann, äh, ist dann irgendwann auch das Fassungsvermögen der Kinder überschritten. Die Woche, also eine Woche Projektwoche, das in Ruhe vorbereiten, man sollte es nicht darüber hinaus strapazieren“ (B., Z. 327-330). Eine für alle Beteiligten deutlich erkennbare Phasierung solcher Projekte, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, erscheint ferner nach diesen Analysen sehr sinnvoll; dies vor allem auch deshalb, weil eine klare Phaseneinteilung den Schülerinnen und Schülern Orientierung gibt.

Curriculare Einbettung des Besonderen

Herr B. hat zudem den Faktor Zeit in Bezug auf den Lehrplan im Blick. Er sagt, man müsse ein solches Projekt „langfristig angehen und sich genau überlegen, also, äh, ich will so was machen, welche Zeitplanung nehm ich mir, das kann man nicht von jetzt auf gleich machen, äh, man, man muss es zeitlich sehr gut organisieren dann auch, man muss gucken, dass man, äh, mit seinen Arbeitsdingen, was man sonst an der Schule zu tun hat, das auch irgendwie einbettet“ (B., Z. 702-706). Nach seiner Ansicht geht es nicht um „ne Projektwoche, die man so irgendwo reinschiebt. Sondern das muss schon insgesamt passen“ (B., Z. 718). Er verweist zudem darauf, dass der Film „mit dem gesamten Schulleben (etwas) zu tun“ (B., Z. 717) haben sollte, womit er indirekt das Thema Schulprofil und die Identifikation der Eltern der Schülerinnen und Schüler mit der Institution Schule anspricht (s. u.).

Weil ein solches Projekt seiner Erfahrung nach „Zeit kostet“ (B., Z. 724), „muss man sich dafür Zeit nehmen, um das auch ordentlich zu machen, dann fallen halt andere Sachen raus, ne, dann mach ich halt ne Rechtschreib-Übung weniger oder ne Grammatik-Übung weniger in Deutsch, oder, äh, man muss denn auch mal sagen, ok, jetzt, äh, machen wir halt in den vier Wochen, äh, kein Kunstunterricht, sondern nur Musikunterricht, weil es geht um Film und Musik, ne. Kunstunterricht findet nicht statt, da muss ich flexibel sein, das muss ich dann, äh, letztlich, muss ich dann am Ende das Aufrechnen und sagen, also es gibt ja die und die Vorgaben, Kinder haben zwei Stunden Kunst und eine Stunde Musik, äh, pro Woche und, äh, das muss man auch in gewisser Weise haushalten, also da guckt niemand eng drauf, aber man muss am Ende doch erklären können, äh, dass man hier nichts gemacht hat, was nicht, nicht zum Rahmenplan passen würde. Also man hat halt immer den Rahmenplan, und muss halt gucken, wo passt das rein. Ne, und dann muss man halt, ja, gucken, wie passt das da rein und muss ein bisschen biegen und schieben“ (B., Z. 725-737). In dieser längeren Interviewsequenz schildert Herr B. gut nachvollziehbar seine Konflikte mit den Vorgaben des Lehrplans, zu dessen Erfüllung er innerhalb der Institution Schule verpflichtet ist. Die zu verallgemeinernde Herausforderung besteht darin, dass angesichts der Lehrpläne / Rahmenpläne indirekt die Zeitkontingente für die einzelnen Unterrichtsfächer reglementiert sind. Auch die Rahmenpläne müssen angesichts einer intensiveren Projektarbeit flexibel gehandhabt werden. Weiter wird anschaulich, dass die Projektarbeit mit außerschulischen Partnern unmittelbar zu einem gewissen flexiblen Umgang mit dem Lehrplan führt („ein bisschen biegen und schieben“).

Interdisziplinarität

Ein gewisser Ausgleich dieses Problems des Erfüllens der Lehrplanvorgaben kann in Projekten, wie den untersuchten, durch interdisziplinäres Arbeiten erreicht werden. Gerade das Projekt Stummfilm an der B.-Schule beinhaltete dieses Merkmal. Herr B. berichtet: „Also es war im weitesten Sinne fächerübergreifend, äh, Deutsch, Kunst, Musik, all das kam rein. Also, wo man ja auch überlegen musste, Maske, Kostüm, so was alles“ (B., Z. 320-322). Es erscheint also nicht nur aus pädagogischen, sondern auch aus organisatorischen Gründen heraus sinnvoll, solche Projektthemen sowie außerschulische Partner zu bevorzugen, die Interdisziplinarität gewährleisten.

Schulprofil

Facetten des Themas Schulprofil innerhalb der Projektarbeit wurden bereits oben in den zitierten Aussagen von Herrn B. ersichtlich (vgl. Kap. 5.3.2), in denen er darauf verweist, dass der Film „mit dem gesamten Schulleben (etwas) zu tun“ (B., Z. 717) haben müsse. Für Herrn A. spielte die von ihm so bezeichnete „Profilierung der Schule“ (A., Z. 84) – „wie stellen wir uns dar im Vergleich zu anderen Schulen hier im Kiez“ (A., Z. 84) – eine zentrale Rolle. Thema des an der A.-Schule gedrehten Films ist die Darstellung des Schulprofils durch einen Dokumentarfilm. Dies bezeichnet Herr A. zweimal als „meine Idee“ (A., Z. 93, 281). Der Film handelt davon, wie sich die Schule in den letzten drei Jahren veränderte, wie „inhaltlich neue Schwerpunkte gesetzt“ (A., Z. 71) wurden. Er handelt von der „stärkeren Strukturierung der einzelnen Fachbereiche“ oder der „Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes der Schule“ sowie der „stärkeren Zusammenarbeit mit den hiesigen Institutionen“ (A., Z. 72-74). Hier bot sich vor allem das Medium Film an, weil „Film das beste Mittel ist, um das deutlich zu machen“ (A., Z. 87), weil es Authentizität und Modernität bietet („wenn wir ganz präzise, ganz präzise und auch genau und vor allem authentisch sagen wollen, was ist denn nun das Neue an dieser Schule“; A. 82f.). Zwar legitimiert Herr A. diese Filminhalte didaktisch, weil die Vorstellungen der Kinder (beispielsweise Monster- oder Katastrophenfilme) nicht zu verwirklichen seien: „Ich hab gesagt, wir müssen uns n Thema suchen, was Kinder bewältigen können und, oder woran Kinder auch kapieren, wie, wie Geräte zum Filmemachen funktionieren, das ist wichtig.“ (A., Z. 544-546) Dennoch äußert er auch starke Zweifel an der Relevanz des Projekts für das Erfahrungslernen der Kinder sowohl im Inhaltlichen wie im Formalen. Dadurch, dass das Thema ‚erneuertes Schulprofil‘ inhaltlich so im Mittelpunkt stand, seien die Kinder ein Stück weit instrumentalisiert worden: „Was ja auch alles klasse ist, aber, aber Tatsache ist und bleibt, dass wir den Schülern in ihrer Selbsterfahrung viel zu wenig Raum eingeräumt haben und deshalb muss so´n Film, der von außen begleitet wird, wirklich, das muss hoch sensibel und, und das muss, das muss ganz fein abgestimmt sein und darf eine bestimmte Grenze, nämlich die der, der, der totalen Beeinflussung, nee, totale Beeinflussung nicht, also die, der Beeinflussung der Schüler nicht überschreiten.“ (A., Z. 667-672) Und auch in Hinblick auf das Formale sagt Herr A. zwar, der Film habe „viel Lob bekommen“ (A., Z. 662), aber „ich würde prinzipiell die Art und Weise, wie wir diesen Film gedreht haben, verändern wollen. Hab ich ja schon gesagt. Ich würde den Schülern mehr Freiraum lassen.“ (A., Z. 562-564) So wie bei jedem Projekt, das im engeren Sinne nach der reformpädagogisch orientierten Projektmethode durchgeführt wird, sollten auch in der Projektarbeit mit außerschulischen Partnern die projektspezifischen „Strukturmerkmale“ wie „Mitplanung“ und „Bedürfnisbezogenheit“ (Otto 1994, S. 36) gewährleistet sein. (Gunter Otto nennt und erläutert insgesamt sechs Strukturmerkmale: Mitplanung, Interdisziplinarität, Bedürfnisbezogenheit, Produktorientierung, sozio-kultureller Zusammenhang, Kooperation; Otto 1994)

Die Flexibilisierung überlieferter schulimmanenter Strukturen (z. B. Zeit oder Curricula), die häufig authentische Lern- und Erfahrungssituationen sowie kreative Prozesse be- oder verhindern und unter denen die Beteiligten (Lernende wie Lehrende) letztlich leiden, wird durch die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern unterstützt.

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