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Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Die problematische und durch schulische Fremdheitserfahrungen geprägte Schulkarriere – Die Fallstudie Fritz

Fritz rückte in den Fokus unserer Auswertungen, da er eine sehr bewegte Schullaufbahn durchläuft, die durch zwei Schulwechsel geprägt ist. Im Zuge des institutionell vorgesehenen Übergangs in die Sekundarstufe I besucht Fritz trotz fehlender Empfehlung und als erster in seiner Familie das Gymnasium, welches er aber nach einem Jahr aufgrund von versetzungsgefährdenden Leistungsproblemen wieder verlässt. Somit steht Fritz für einen Fall, bei dem der Übergang in die Sekundarstufe I problematisch verläuft und durch Passungsprobleme geprägt ist. Sein Orientierungsrahmen kennzeichnet sich durch eine starke Peer- und Integrationsorientierung, die innerhalb des schulischen Raumes eine große Rolle spielt. Weiterhin charakterisiert er sich durch eine Fremdheit gegenüber den schulischen Strukturen auf der einen und einer schulischen Anpassungs- und Konformitätsorientierung auf der anderen Seite. Seine Schullaufbahn durchläuft Fritz in hohem Maße passiv, ohne dass ihm Enaktierungspotentiale zur Gestaltung zur Verfügung stehen.

Da sich das erste Interview sehr schwierig gestaltet und von Fritz zunächst keine Narrationen erfolgen, soll vorweg kurz auf die Interaktionsstruktur vom Interviewer und Fritz und damit auf die Rahmung des Interviews eingegangen werden. Unsere Rekonstruktionen zeigen, dass die Schwierigkeiten einerseits auf die hegemoniale Struktur des Interviews und auf eine deutliche habituelle Differenz zwischen dem Interviewer und Fritz zurückzuführen sind. Andererseits kommen darin auch Haltungen von Fritz zum Ausdruck, diese formale Situation eines Interviews und die Rolle als aktiver Sprecher „auszusitzen“ und sich sprachlich zu enthalten. Des Weiteren deutet das Verhalten von Fritz auf eine Mentalität des Unterliegens in der Hegemonialkultur des, von dem Interviewer strukturierten Interviews. Mehrmalige Versuche des Interviewers, Erzählungen von Fritz zu generieren, scheitern.

Erst nachdem der Interviewer das Tonbandgerät ausschaltet, in einem Gespräch einen gemeinsamen Konsens herstellt und das Thema in Richtung gesamte Grundschulzeit öffnet, antwortet Fritz kurz: (räuspert sich) n bisschen von der zweiten klasse //I: hmm// . ähm (11) da hat ich auch schon freunde //I: hmm//. In dieser ersten Themeneinführung wird die Relevanz von Freunden in der Schule für Fritz deutlich. Diese Abhandlung verweist demnach auf einen positiven Gegenhorizont des frühzeitigen Besitzes von Freunden. Gleichzeitig zeigt sich, dass Fritz die Freunde erst mit der zweiten Klasse einführt, während die erste Klasse hier ausgeblendet bleibt. Im weiteren Interviewverlauf springt Fritz in seinen Thematisierungen und unterbreitet dem Interviewer verschiedene Themenangebote (z.B. Hitzefrei, Tierkauf, Urlaub):

F: und immer wenns , ganz heiß war hat mer hitzefrei //I: hm// und da (wurd mer) abgespritzt //I:hm// (24) (…) hab mir schon immer n tier gewünscht //I:hm// was ich seit zwei tagen hab //I: hmm// (35) ich war vor der einschule schon , im europapark //I: hm// (4) zweimal am gleich urlaubsort //I:hmm// (33)

Fritz formuliert Themen, die nur marginal bzw. gar nicht mit der Schule in Beziehung stehen. Somit werden in diesen Ausführungen der außerschulischen und -alltäglichen „Events“ vor allem schuldistanzierte und freizeitorientierte Haltungen evident, während schulische Themen deutlich in den Hintergrund treten. Daneben wird die erste Linie der Peerbeziehungen in Folge mehrerer Nachfragen und verschiedener Ausdifferenzierungen des Interviewers zu den Freundschaftsbeziehungen detaillierter dargestellt:

F: also wo ich hier her kam da hatten schon welche freunde weil die zusammen im kindergarten warn //I: ja// und , da hat ich eben halt noch keine //I: hm// (…) ja da hat ich eigentlich keinen zum spielen //hmm// (2) na doch einen hatte ich immer (2) matze

Es zeigt sich, dass kontinuierliche Freundschaftsbeziehungen hier beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule den positiven Gegenhorizont von Fritz markieren. Die Defizitkonstellation, dass andere beim Übergang bereits Freunde hatten und er noch nicht, deutet auf die Erfahrung eines Bruches in der Grundschule hin. Auch der eine kontinuierlich vorhandene Spielkamerad, der erst nach einer erneuten Nachfrage des Interviewers benannt wird, kann diese Brucherfahrung nicht kompensieren. Die Desintegration, wie sie hier am Beispiel des Übergangs in die Grundschule entworfen wird, steht somit im negativen Gegenhorizont. Seine Eigentheorie verweist dabei auf die Bearbeitung dieser Schwierigkeiten am Anfang. Es wird deutlich, welchen großen Stellenwert Vergemeinschaftungsprozesse in der Klasse im individuellen Orientierungsrahmen von Fritz einnehmen. Dies bestätigt sich auch in den darauf folgenden Ausführungen zu Entwicklungen auf der Peerebene:

F: und dann ab der ersten hat ich schon n paar und dann wurdens immer mehr und dann , hat ich , also dann kam , ab der dritten kam zwei neue schüler //I: hm// mit den hat ich dann auch freundschaft //I: hm// (14) und ab vierte dann , da hat man dann hat ich dann alle I: alle (fragend) //F: hm//

In diesem Anschlussthema der sukzessiven Steigerung der Freundschaften im Verlauf der Grundschulzeit können wir nun rekonstruieren, dass Fritz den Besitz von Freunden eng an die Institution der Schule koppelt. Der Freundesbegriff bezieht sich dabei auf eine quantitative Logik der Anhäufung von Freundschaften, die sich beinahe automatisch vollzieht und deren dargestellter und angestrebter Endzustand, die Freundschaft zu allen Klassenkameraden bildet. Möglichst viele Freunde zu besitzen bis hin zum Idealzustand mit allen befreundet zu sein, markiert demzufolge den positiven Gegenhorizont, während die Situation keine Freunde zu besitzen oder eine marginale Position im Klassenzusammenhang einzunehmen deutlich im negativen Gegenhorizont verortet ist. Dabei sind die Zugangsvoraussetzungen für eine Freundschaft sehr niedrigschwellig angesetzt. Dennoch steht die scheinbare Selbstläufigkeit der Freundesgewinnung im deutlichen Widerspruch zu der Mangelerfahrung und den Ängsten zu Beginn der Schulzeit. Zudem verweist die fehlende Darstellung von Beziehungs- und Erfahrungsqualitäten, die Unmöglichkeit mit allen befreundet zu sein und die Art und Weise der Thematisierung in Form allgemeiner, gesetzmäßiger Formulierungen auf eine Bearbeitungsfigur.1 Fritz hat Schwierigkeiten, seinen positiven Gegenhorizont, Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, umzusetzen und imaginiert eine Vollintegration als Ausdruck seiner Verunsicherung. Diese Bearbeitung wird in weiteren Sequenzen belegt, in denen Fritz den Fragen des Interviewers zur umfassenden Integration und zu den Unstimmigkeiten seiner Ausführungen mit Entthematisierungen und Verallgemeinerungen ausweicht: „also mit manchen verstehe ich mich nicht soo (betont) //I: hm// aber mit manchen verstehe ich mich super“. Fritz widerlegt somit die eigenen Aussagen einer Vollintegration, wodurch sich der Charakter einer Bearbeitungsfigur verstärkt.(1) Diese Bearbeitungen verweisen auf einen drohenden negativen Gegenhorizont einer Desintegration, an dem sich Fritz abarbeitet. Die Mitschüler mit denen er sich gut versteht, bleiben in der Darstellung sehr allgemein und können nicht in der Form kompensierend wirken, dass eine Bearbeitungsnotwendigkeit hinfällig wird. Insgesamt scheinen keine exklusiven Beziehungsqualitäten auf. Im Anschluss thematisiert Fritz seinen negativen Gegenhorizont stellvertretend an einem desintegrierten Schüler, der als Außenseiter, Gehänselter und Störer die vollständige Exklusion erfahren hat:

F: und wir hatten auch einen der war ganz schlecht (10)
I: und was war mit dem
F: na der war der beim . (immer) gehänselt //I: hmm// dann war der immer gewalttätig //I: hm// (8) und wurde da ähm ab der zweiten herausgenommen //I: hm// (7)

Die bisherigen Rekonstruktionen konnten zeigen, wie zentral das Thema der Freunde und der Integration in die Klasse im individuellen Orientierungsrahmen verortet sind. Demgegenüber soll im Folgenden der schulische Leistungs- und Anforderungsbereich näher ins Blickfeld rücken. Dabei wird zunächst eine Verschlechterung der Leistungen besonders im letzten Grundschuljahr ersichtlich, der sich Fritz ausgesetzt sieht:

F: naja ab . ab der zweiten war also , in der ersten bis dritter war ich noch gut , und dann ab vierter wurde es immer schwieriger und dann fings an mit nich so guten noten //I:hmm//

Die Thematisierung erfolgt allgemein, bilanzierend und passiv. Die Einführung der Verschlechterung deutet dabei auf eine fremdbestimmte Entwicklung der Steigerung von schulischen Anforderungen, die zwangsläufig ein Absinken der Noten nach sich zieht. Zwar wird ersichtlich, dass die guten Leistungen des Anfangs im positiven Gegenhorizont stehen, allerdings bleibt Fritz´ Notenbezug sehr allgemein und diffus. Darüber hinaus werden keine deutlich eigenen Positionierungen, Enaktierungspotentiale oder Absichtserklärungen von Fritz eingeführt, was insgesamt auf eine prinzipiell passive und gleichzeitig verbürgende Haltung des Hinnehmens gegenüber dem fremdgesetzten schulischen Bewertungssystem verweist. Die heteronom erlebte Entwicklung des Notenstandes wird im folgenden Zitat noch einmal gesteigert: na ich fand das am anfang auch n bisschen komisch //I: hmm// so am erste bis dritte klasse hat ich nur gute noten und jetzt auf einmal geht’s alles den bach runter //I: hm// (6). Besonders die Metaphorik und Absolutsetzung der schlechten Entwicklung verweist auf eine Unerklärbarkeit und auf eine Ohnmacht, die ein eigenes Einwirken unmöglich erscheinen lassen. Darüber hinaus wird im Interview ersichtlich, dass der familiale Notenbezug eine hohe Relevanz für Fritz schulische Orientierungen besitzt:

F: na ja ähm ich bin nach hause gekommen und hab meiner ähm da hab ich gesagt dass wir ne arbeit geschrieben haben //I: hmm// da wollt mama sofort wissen welche note (hebt stimme) und da wars mal eben halt ne schlechte
I: hmm (2) und wie hat sie dann reagiert F: nicht so gut //I: hmm// (3) war dann schlecht gelaunt (16) und dann muss halt ähm die aufgaben die falsch warn musst ich dann noch mal rechnen

Es zeigt sich, dass Noten und schulische Leistungen für seine Mutter eine sehr große Bedeutung besitzen und für Fritz die schulischen Arbeiten und Leistungsnachweise somit immer eng mit der Reaktion seiner Mutter verbunden sind und darüber Bedeutung gewinnen.

Bei schlechten Noten greift seine Mutter sanktionierend ein. Ihre Aufforderung zur Berichtigung der falschen Aufgaben erfährt Fritz dabei als Zwang, was seine passive Haltung beim Thema Noten bestätigt. Fritz kommt den mütterlichen Erwartungen nach und fügt sich der Situation, es werden aber keine eigenen Enaktierungspotentiale in Bezug auf die schulischen Leistungsanforderungen ersichtlich. Insgesamt verweist dies auf eine wenig notenaffine Haltung. Noten sind im Orientierungsrahmen von Fritz eine Zwangspraxis, die durch die verbürgte Schule und die Mutter Bedeutung erhalten.

Auch in der Thematisierung der Übergangsentscheidung auf eine weiterführende Schule bestätigt sich seine passive Haltung in Bezug auf die eigene Schullaufbahn, sowie die Bedeutung der Mutter bei schulischen Angelegenheiten. Eine eigene Auseinandersetzung mit den Übergangsoptionen wird in den Abhandlungen von Fritz nicht ersichtlich, vielmehr zeigt sich, dass seine Mutter in einer Art Bildungsanwaltschaft die Weichenstellung für den schulischen Übergang übernimmt:

F: ähm das hab ich von also matze’s mutti hat mit mama mit den telefoniert //I: hm// und da . hat mama gehört ähm dass es ähm das hier dass matze aufs b.-gymnasium geht und da hat mama überlegt ob ich auch mit dort hingehen , sollte //I: hm// obwohl ich nicht dafür empfohlen bin hat mama trotzdem gemacht //I: hmm//und ich ah , damit ich ähm nicht alleine auf ner schule bin und da sind ja auch noch zwei andere schüler die auch noch auf die schule gehen // I: hm// man könnte ja auf auf , auf den zettel schreiben ähm mit wem man in einer klasse sein will hm (7)

Es wird dabei erkennbar, dass es sich auch von Seiten der Mutter nicht um eine selbstverständlich souveräne Orientierung auf das Gymnasium handelt, vielmehr wird die hohe Bedeutsamkeit der Entscheidung anderer – hier der Entscheidung der Familie von Matze – ersichtlich. In den Erzählungen von Fritz dokumentiert sich eine schützende Orientierung der Mutter an einer kontinuierlichen sozialen Beziehung in Bezug auf den Übergang, während leistungsbezogene Aspekte und die fehlende schulische Empfehlung demgegenüber nicht ins Gewicht fallen. Daneben wird im Interview ersichtlich, dass zuvor die Gesamtschule als Übergangsoption im Blick gewesen ist, die jedoch angesichts der Alternative mit Matze auf eine Schule zu wechseln, aufgrund fehlender Peerkontinuität und der größeren Entfernung ausgeschlossen wird.

F: und dann , hm hat mama eben erfahren dass es hier auf d- äh b.-schule , //I: hm// das se das da matze auch hingeht und dass das nicht so n weiter weg ist weil bis zur gesamtschule müsst ich dann zwei stationen mit der bahn fahrn //I: hm// und so müsst ich dann nur zu fuß laufen

Hierin dokumentiert sich eine „Quartiersorientierung“ der Familie, eine „risikoarme“ Schule in einer vertrauten und bekannten Umgebung zu wählen. Die unterschiedlichen Schulformen, differierende schulische Anforderungsprofile oder Statusfragen werden bei der Abwägung in der Darstellung von Fritz nicht berücksichtigt. Dennoch zeigt sich, dass eine Sekundarschule familiär nicht in die engere Wahl genommen wird, was vermuten lässt, dass neben den sozialen und quartiersbezogenen Argumenten auch noch aufstiegsorientierte Aspekte für seine Mutter bedeutsam sind. Insgesamt wird ersichtlich, dass seine Mutter die entscheidende Akteurin seiner Schullaufbahn ist. Er selbst formuliert bezüglich des Übergangs keine explizit eigenen Befindlichkeiten oder Positionierungen und eine eigene Auseinandersetzung mit den Optionen des schulischen Übergangs oder konkrete Antizipationen unterbleiben. Dies verweist wiederum auf seine Haltung, von außen gesetzte Entscheidungen der Mutter hinzunehmen, zu akzeptieren und sich heteronomen Entwicklungen zu fügen.

Der mehrfach problematische Übergang auf das Gymnasium – Ergebnisse des Ankommens an der neuen Schule

Die Peers nehmen auch beim Ankommen an der weiterführenden Schule eine zentrale Bedeutung innerhalb seines Orientierungsrahmens ein, so dass sie auch im zweiten Interview als erstes thematisiert werden. Dabei wird in der Art und Weise der Darstellung insgesamt deutlich, dass das Verhältnis zu den neuen Mitschülern schwierig ist und von Fritz bearbeitet werden muss:

F: na es war er-=m sehr aufregend weil man kennt ja die ganzen schüler nich //hm// und man hat ja nur, also ich hab ja, nur einen freund wenn ich hier //hm// kam, ‚und’ (lang), am ersten tag da ham wir, da ham wir uns dann zum=zum äh ham wir uns dann alle zum ersten mal gesehen (2) (klopfen) (4)

Die hohe Emotionalisierung des Anfangs wird von Fritz über die „man-Form“ generalisierend bearbeitet. Diese Generalisierung kann aber in der Thematisierung der eigenen Ausgangslage nicht durchgehalten werden (man hat ja nur also ich hab ja nur). Es zeigt sich, dass er seine Ausgangslage nicht als Gewinn oder Kompensationsmöglichkeit wahrnimmt, sondern es als Defizit ansieht, nur einen Mitschüler an dieser Schule zu kennen. Dadurch erhält diese Anfangssituation eine große Brisanz und Ungewissheit, welche seinen sich hierin nach wie vor abzeichnenden positiven Gegenhorizont einer gelungenen Integration bedroht und eine Bearbeitung notwendig macht. Im Gegenzug kristallisiert sich abermals der negative Gegenhorizont einer Marginalisierung oder Isolation im Klassenzusammenhang heraus, so dass sich auch im Ankommen an der neuen Schule eine Dominanz des sozialen Raumes im individuellen Orientierungsrahmen abzeichnet. Daneben gibt es über die Verwendung des Präsens in Bezug auf den Besitz des einen Freundes („hab ja nur einen Freund“) Hinweise auf eine weiteres Andauern dieser für ihn prekären Situation. Auch das Verharren in der Bearbeitungsfigur verweist auf eine Problematik auf der Peerebene. Erst der Interviewer regt die Ausformulierung einer Weiterentwicklung an:

I: wie ging das dann weiter
F: . ja wir ham uns //(hustet)// immer noch verstanden und . konnten dann noch gut mit uns umgehen, und naja und jetzt hat mer=jetzt haben wir uns richtig dran gewöhnt

Auch hier kommen über die distanzierten und stark verallgemeinernden Formulierungen weitere Bearbeitungen zum Tragen. Es folgt keine Ausformulierung von anwachsenden, sich entwickelnden Beziehungsqualitäten oder einer deutlich gelungenen Integration. Zudem verweist die „Gewöhnung“ auf unvertraute, wenig angenehme Bedingungen, mit denen man sich arrangieren muss, ohne dabei tatsächlich Einflussmöglichkeiten zu sehen. Auch wenn sich eine leichte Entspannung abzeichnet, bleibt die Bedrohung der Integrationsorientierung in hohem Maße präsent. Im Folgenden zeigt sich, was die Ankunft in einem unvertrauten Umfeld für Fritz besonders schwierig werden lässt: na weil man die leute ja nich `kennt` (betont) und nich weiß was die mögen und so //hmhm//. Es kristallisiert sich der positive Gegenhorizont der Ansammlung eines umfassenden Orientierungswissens über die Peers heraus, um sich in dem tendenziell bedrohlichen Feld zurechtfinden zu können. Situationen, in denen eine solche Kenntnis nicht vorhanden ist, sind somit sehr prekär und deutlich negativ konnotiert. Ein solch soziales Orientierungswissen, einschließlich einer Kenntnis darüber, was die anderen mögen, ermöglicht erst eine Anpassung an den fremden Raum. Somit wird vor dem Hintergrund der Bedrohung durch einen Ausschluss eine ausgeprägte Anpassungsbereitschaft erkennbar. Auch wenn diese Anpassung ein Enaktierungspotential beinhalten kann, bleibt insgesamt seine passive Haltung und eine starke Orientierung an dem, was von außen erwartet und gemocht wird, dominant für den eigenen Orientierungsrahmen. Insgesamt zeigt sich, dass die Anderen sehr global als große Masse und nicht als spezielle Peers eingeführt werden. Insgesamt kommt wieder Fritz’ quantitatives und instrumentell ausgerichtetes Freundschaftskonzept zum Tragen, während Beziehungsqualitäten in den Hintergrund treten. Selbst die einzige kontinuierliche Beziehung zu Matze wird auf einer sehr formalen, instrumentellen Ebene geschildert, die gleichsam die Integrationsproblematik von Fritz verdeutlicht:

F: na mit dem isses eigentlich besser weil, wenn ich jetzt zum beispiel krank war und stoff nich weiß kann er’s mir immer erklären //hmhm// .

Fritz untermauert diese Freundschaft mit einem möglichen schulbezogenen Vorteil, der allerdings noch nicht real eingetreten ist. Dies deutet wiederum auf eine sehr institutionell gerahmte Beziehung, so dass auch in diesem Peerkontakt Erfahrungsqualitäten auszubleiben scheinen. Insgesamt wird zum Zeitpunkt des Interviews für Fritz eine Bedrohung seines positiven Gegenhorizonts auf der Peerebene ersichtlich, die besonders vor dem Hintergrund fehlender Enaktierungspotentiale bearbeitet werden muss. Nach den Peers werden die Lehrer als zweite soziale Bezugsgruppe eingeführt, so dass erkennbar wird, dass Schule vor allem als ein sozialer Raum wahrgenommen wird, in dem ein soziales Orientierungswissen relevant ist:

F: mh, na als wir uns zum ersten mal die lehrer gesehen hat, hat man dann, also hat man sich da noch n’ bisschen drauf eingestellt das man dann die fächer mit dem und dem lehrer macht //hm// (4)
I: weeste noch wie das war als ihr das erste mal die lehrer gesehen habt (2)
F: naja das war mh mh schon, ‚schön’ (betont) weil, man hat ja am anfang nur die klasse gesehen und man wird ja immer noch wissen wer die lehrer sind und welchem fach und so //hm// (5)

Auch hier bei den Lehrern dokumentieren sich der gleiche Modus der Thematisierung wie bei den Peers, die Orientierung der Anpassung und das passive Erlangen („bisschen drauf eingestellt“) von Orientierungssicherheit als Haltung gegenüber der Welt. Die Zuordnung von Lehrern zu Fächern bestätigt die Haltung der Orientierungssicherheit. Fritz geht es um ein distanziertes und allgemeines „Kennen“ oder Zuordnen der neuen Lehrer, was darauf verweist, andere in ihrer Bedrohlichkeit abschätzen oder kalkulieren zu können. Gegenüber den Lehrern als Rollenträgern hat er dabei im Vergleich zu den Peers eine gewisse Sicherheit, da diese einschätzbar für ihn sind. Das Verstehen mit den Lehrern und die Anerkennung der Lehrer stehen im positiven Gegenhorizont von Fritz. Hinsichtlich der schulischen Leistungen wird erkennbar, dass Fritz erhebliche Probleme hat, die Anforderungen an diesem Gymnasium zu erfüllen. So berichtet er davon, dass sich seine Noten bereits im ersten Schulhalbjahr verschlechtert haben:

F: am anfang da kam ja noch die leichten dinge dran //hm// (atmet ein) und nach ner zeit wurdes ja immer schwerer und dann kamen erst die nich so guten noten //hm// (3)

Die Art und Weise der Thematisierung dokumentiert eine Transformation der Notenentwicklung und bestätigt hier beim Thema Leistungen die Indifferenz und Fremdheit gegenüber schulischen Bezügen bei gleichzeitiger Verbürgung der schulischen Institution im Orientierungsrahmen. Die Notenverschlechterung wird dabei in kausalen Zusammenhang mit den gesteigerten Anforderungen gebracht und als eine heteronome Entwicklung betrachtet, auf die er selbst keinen Einfluss hat, der er sich aber beugt. Eigene Positionierungen, Befindlichkeiten und Handlungsmöglichkeiten werden in den Passagen zu den Leistungen dabei nur marginal eingeführt, was auch darauf deutet, dass es ihm schwerfällt, subjektiv an diese ihm fremden Strukturen anzuschließen. Dennoch wird vor dem Hintergrund seiner Konformitätsorientierung diffus der positive Gegenhorizont von guten Noten ersichtlich, sowie eine Bedeutsamkeit, auch auf der Notenebene nicht aus einem akzeptablen Rahmen zu fallen, was er aber an der neuen Schule nur schwer verwirklichen kann. So umkreist und bearbeitet Fritz die schlechten Noten, indem er die konkrete Zensurenentwicklung sehr allgemein thematisiert und verschönernd darstellt.

F: naja manchmal warn se, eigentlich noch recht gut also //hmhm// noch g- gute noten, und, wo dann die schweren dinge dran kamen dann warn se halt ‚nich so gut’ (leiser gesprochen)

Erst nach mehrmaligen Nachfragen und aufgrund des Insistierens des Interviewers konkretisiert Fritz die Noten etwas näher, die er bis zum Zeitpunkt des Interviews erhalten hat:

I: du hast gesagt gute und nich so gute noten , was meinstn=du mit guten und nich so guten noten F: ‚na äh in englisch’ (stockend) und so hab ich ähm, paar also, noch, unter drei , so noten //hm// und in mathe und so hab ich, halt n bisschen ‚über drei’ (leise, lachend)
I: mh n bisschen über drei wie isn das so mit mathe was hastn dann=bis=jetzt=so für noten bekommen
F: na, viern oder so

Es wird die magische Grenze der Note Drei ersichtlich, die zu einer Unterscheidung von Noten unterhalb und oberhalb dieses Markierers führt. Allerdings ist auch diese Darstellung zunächst irreführend und erhält erst über die Nennung der konkreten Note mehr Klarheit. Es zeigt sich, dass die schlechteren Noten von Fritz damit sehr diffus, unsicher und indifferent bearbeitet werden. Seine Passungsprobleme äußern sich in der Art und Weise der Thematisierungen als Passivität, Verunsicherung und der Vermeidung, seine Noten konkret zu benennen, was sich auch anhand der folgenden Passage noch einmal näher belegen lässt:

F: na ähm, wenn wir ne kurzkontrolle geschrieben haben da, hat man eigentlich schon=nacher=irgendwie das gefühl das dasn ne, mittelmäßiche=äh also mittelmäßige gut note wird //hm// na und wenns dann halt nich so wird dann .. ‚kann man ja nichts ändern’ (leiser gesprochen) //hmhm// (2)

Diese allgemeinen und indifferenten Formulierungen zum Thema dokumentieren seine Unsicherheit, Hilflosigkeit und seine Schwierigkeiten sich zu den schulischen Leistungen zu positionieren. Fritz bearbeitet seine Situation sehr formelhaft in der Resignation, die keinen Raum für Handlungsspielräume offen lässt: „wenns dann halt nich so wird dann .. ‚kann man ja nichts ändern’“. Er verharrt in seiner Passivität und ergibt sich damit seinem Schicksal. Er kann Noten nicht der eigenen Person und folglich nicht als eigenen Besitz einführen und erkennt diese damit als unkalkulierbare und nicht steuerbare Größen an. Seine Orientierungen, sich den heteronomen Bedingungen auszusetzen und diese in einem akzeptablen Notenspektrum bis zur Note Drei auszuführen, geraten auf der neuen Schule aufgrund der anhaltenden Notenverschlechterung und fehlender Handlungspotentiale unter Transformationsdruck. Durch seine Bearbeitungsversuche der Verschleierung und Beschönigungen der schlechten Noten besteht die Gefahr der fortgesetzten Verkennung der Anforderungen des Gymnasiums, während eine Auseinandersetzung mit der eigenen Situation und eine daran gebundene Chance der Ausbildung von Enaktierungspotential verhindert werden.

Das schwierige Passungsverhältnis – ein Zwischenfazit

Über die ersten beiden Interviews hinweg wird eine zentrale Integrationsorientierung in eine Gemeinschaft erkennbar, die jedoch immer wieder stark unter Druck gerät. Daneben zeigt sich eine „Event“- und Abenteuerorientierung, durch die Fritz dann positiv an Schule anschließen kann, wenn diese von ihren Routinen abweicht. An diese Orientierungen knüpft sich eine deutliche Indifferenz gegenüber den schulischen Bereichen und Belangen. Dieser Indifferenz steht jedoch vor dem Hintergrund äußerer vor allem familialer Erwartungen eine Verbürgung und Anerkennung des schulischen Anforderungs- und Bewertungssystems gegenüber, so dass ein Herausfallen aus dem normalen schulischen Rahmen einen negativen Gegenhorizont markiert. Somit wird ein individueller Orientierungsrahmen zwischen Bildungsfremdheit und schulischer Konformität ersichtlich. Schulische Noten erhalten vor diesem Hintergrund vorwiegend über die Mutter Bedeutung. Daneben ist sie die zentrale Akteurin in Bezug auf die Weichenstellung seiner Schullaufbahn. Fritz selbst durchläuft die eigene Schullaufbahn sehr passiv, so dass auch in Bezug auf den Übergang keine eigenaktive Auseinandersetzung ersichtlich wird. So bleiben Enaktierungspotentiale sowohl auf der Peer- als auch auf der Leistungsebene vakant. Vor dem Hintergrund dieser Vorraussetzungen gestaltet sich der Übergang in die Sekundarstufe I für Fritz sehr problematisch. Er hat große Schwierigkeiten sowohl auf der Peerebene als auch in Bezug auf die neuen Leistungsanforderungen anzuschließen und seine positiven Gegenhorizonte umzusetzen. So erhält der Übergang für ihn eine besondere Brisanz, da seine zentrale Peerintegrationsorientierung und die Umsetzung seiner positiven Gegenhorizonte nicht realisiert werden können. Auch auf der Leistungsebene sieht er sich einer Notenverschlechterung, ohne eigene Einflussmöglichkeiten, ausgesetzt. Die zahlreichen Bearbeitungsformen, verhindern gleichzeitig eine eigene Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten und damit auch die Ausbildung von Enaktierungspotentialen. Diese Haltungen in Bezug auf Peers und Leistungsanforderungen beinhalten Risikopotentiale für die weitere Schullaufbahn. Eines liegt in einer möglicherweise zunehmenden Verschlechterung der Leistungen an der neuen Schule. Ein weiteres läge dann vor, wenn die Integration in den Klassenzusammenhang scheitert. Würde diese umgekehrt gelingen, so gäbe es die Möglichkeit, die Leistungsprobleme über die Peerebene zu kompensieren und eventuell Ressourcen für die eigene Schulkarriere zu gewinnen.

Flexibles Interview kurz vor dem schulischen Wechsel auf die Sekundarschule

In der folgenden Zeit am Gymnasium manifestieren sich die Leistungsprobleme bei Fritz soweit, dass eine Versetzungsgefährdung droht. Angesichts dieser Schwierigkeiten regt seine Klassenlehrerin einen Wechsel an eine Sekundarschule an, von dem sie schließlich auch seine Mutter überzeugen kann „na das kam von meiner lehrerin und von meiner mutti also die wollte das dann auch“. Diese beiden Hauptakteurinnen stellen die Weichen für den schulischen Wechsel. Für Fritz selbst sind die genauen Abläufe, Gespräche und Optionen des Übergangs nur diffus fassbar. Fritz verbürgt diese außengelenkte Entscheidung, kann aber auch mit eigenen Bezügen positiv an den schulischen Wechsel anknüpfen:

F: naja ich wechsle ja jetzt die schule wieder auf ne //mhmh// normale schule //mhm// und . naja da is es ja , halt- is zwar auch so n stoff dran aber halt nich so viel und nich so schwer , ja . und da sind ja auch ganz viele aus meiner alten grundschule das äh- //mhm// das ist ja auch nich so (2)

Es wird deutlich, dass Fritz das Gymnasium als eine gesonderte, den normalen Rahmen übersteigende Schulform wahrnimmt, so dass er mit dem Wechsel nun auf eine „normale“ Schule zurückkehren kann. Diese Normalität knüpft er vor allem an den Grad der Leistungsanforderungen, sowie an die Menge schulischer Inhalte. Die markante Formulierung „halt- is zwar auch so n stoff dran“ verweist dabei auf eine substantielle Fremdheit gegenüber den schulischen Inhalten und somit auf fehlende subjektive Anknüpfungsmöglichkeiten für Fritz. Vor diesem Hintergrund bildet ein hohes Maß an schulischen Inhalten, sowie ein gesteigerter Schweregrad den negativen Gegenhorizont im Orientierungsrahmen von Fritz, welchem er sich in seiner Schulzeit am Gymnasium ausgesetzt gesehen hat. Angesichts dieser Erfahrungen und der klaren Antizipationen in Bezug auf die Sekundarschule, in welcher er sich zwar ebenfalls befremdenden Inhalten ausgesetzt sieht, jedoch in deutlich geringerem Ausmaß und Schweregrad, bildet die Sekundarschule die erträglichere Fremde und wird somit als passförmiger entworfen. Neben dem Leistungsaspekt gerät die Peerintegration in den Blick, die bereits in den ersten Interviews einen zentralen Bereich seines individuellen Orientierungsrahmens darstellte. Eine diesbezügliche, mit einem Übergang verbundene Bedrohlichkeit, kann über die Bekanntheit einiger Schüler aus der Grundschule, die ebenfalls die Sekundarschule besuchen, gelindert werden. Die antizipierten positiven Aspekte des Vertrauten und weniger Belastenden überwiegen vor dem tendenziell Bedrohlichen eines Übergangs, so dass dieser den Charakter eines weitgehend undramatischen Wechsels erhält. Ein Statusverlust wird hingegen gar nicht thematisiert. In einer weiteren Textstelle steigert sich der eigene Bezug auf den Übergang noch einmal und verknüpft sich mit seiner Orientierung auf eine normale ungebrochene Schullaufbahn:

F: na weil nächst- äh ich wollt ja , die sechste klasse weitermachen aber halt auf ner anderen schule wenn ich hier weiter machen würde dann wär- würd es ja noch schwerer dann würde ich vielleicht im nächsten jahr das nich schaffen //mhm// und deswegen wollt ich jetzt die Schule wechseln //ja//

Für Fritz ist es bedeutsam, einer Nichtversetzung zu entgehen und somit ein drohendes Scheitern, das er mit dem Gymnasium verbindet, abzuwenden. Im Hintergrund steht die Orientierung, den Erwartungen einer normalen Schullaufbahn ohne Unterbrechungen im Sinne einer Klassenwiederholung zu entsprechen. Angesichts seiner substantiellen schulischen Fremdheit dokumentiert sich hier eine Mindestvariante an schulischem Bezug, deren dominantes Ziel es ist, ein schulisches Scheitern zu vermeiden und den normalen Rahmen einer schulischen Biografie nicht zu verlassen. Der Wechsel an die Sekundarschule wird demgegenüber nicht als Bruch erfahren, sondern eher als Rückkehr an eine normale Schule. Neu erscheint nun, dass Fritz eine klare eigene Positionierung vornimmt. Vor dem Hintergrund seiner Fremdheits- und Leidenserfahrungen am Gymnasium kann Fritz die von außen gesetzte Entscheidung des Schulwechsels in der Darstellung in einen eigenen Willen transformieren: „deswegen wollt ich jetzt die schule wechseln“. Der eingeleitete Schulwechsel stellt für ihn eine glückliche Fügung dar, an die er anschließen kann, an dem er aber keinen aktiven Anteil hat. Insgesamt bleibt somit seine grundlegend passive Verbürgungshaltung gegenüber der Schule und den familialen und schulischen Akteuren, die seine Schullaufbahn lenken, bestehen. Eine weitere Kontinuität zeichnet sich in seinem Leistungs- und Zensurenbezug ab, der nach wie vor durch eine große Distanz und Diffusität in Hinblick auf das institutionelle Bewertungssystem und dessen Bedeutung für seine Schulkarriere gekennzeichnet ist. Auf die Frage des Interviewers nach dem Verlauf der Schulwechselentscheidung antwortet Fritz wie folgt:

F: na in äh- wegen mathe da stand ich halt fünf und , also ich sollte dann- wir ham , wo ich wusste dass ich in mathe fünf stehe da hab ich dann , ähm hat mer dann , noch ne arbeit geschrieben die hab ich dann , mit ner vier und dann hab ich halt noch zwei dreien dazu bekommen //mhm//

Statt der Schilderung des Entscheidungsprozesses führt er eine Begründung des Schulwechsels an, die auf das Verfahrensergebnis der schulischen Beurteilung im Fach Mathematik fokussiert. Die Note Fünf deutet dabei auf eine Versetzungsgefährdung in diesem Fach, während im Anschluss eine Aneinanderreihung von besseren Ergebnissen in Mathematik erfolgt. Die Art und Weise der Darstellung, in der weder Generierungsprozesse und Wertigkeiten der besseren Noten, noch die Auswirkungen auf das Gesamtergebnis und dessen Einfluss auf seine schulische Zukunft dargestellt werden, verweist damit auf eine ausgeprägte Unsicherheit und Fremdheit im Umgang mit dem schulischen Bewertungssystem. Noten spielen innerhalb seines Orientierungsrahmens nach wie vor eine untergeordnete Rolle, auch deshalb, weil es ihm schwer fällt, diese institutionelle Bewertung zur eigenen Person in Beziehung zu setzen. Dennoch wird erkennbar, dass die Fünf keine positive Note bildet und er nicht als Fünferkandidat gesehen werden möchte. Es gibt Hinweise, dass er es besser machen kann, aber es zeigt sich auch, dass es für ihn sehr bedeutsam ist, die ganz schwierigen Entwürfe des Scheiterns abzuwenden. Dies verweist wiederum auf seine Orientierung, insgesamt den schulischen Anforderungen nachkommen zu wollen und nicht aus dem Rahmen zu fallen. Seine Haltung zur Schule ist stark geprägt durch die Erwartungen seiner Mutter, die allerdings einen deutlich stärkeren Schul- und Leistungsbezug besitzt, innerhalb dessen die Noten eine große Rolle spielen:

F: meine mutti hat dann , dann auch immer ausgerechnet wenn ich jetzt zum beispiel ne drei bekomme ob ich vie- ob ich vielleicht doch noch ne vier kriege oder , /mhm// so (2) hm (4)

Im Gegensatz zu Fritz führt seine Mutter Buch über die einzelnen Noten mit dem Ziel einer Verbesserung des Gesamtergebnisses, der Vermeidung einer Wiederholung oder gar des Schulwechsels, von dem sie sich schließlich aber von der Lehrerin überzeugen lässt. Fritz bleibt der starke Notenbezug der Mutter fremd und deren Aktivitäten in Bezug auf die Versetzungsgefährdung und den schulischen Wechsel undurchschaubar. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die, vor dem Hintergrund seiner schulischen Fremdheit belastenden Erfahrungen auf dem Gymnasium („zu viel“ und „zu schwer“) und der damit verbundenen Antizipation eines drohenden Scheiterns dazu führen, dass Fritz an den fremdgesetzten Übergang positiv anschließen kann und diesbezüglich eine eigene Positionierung vornimmt. Dies ist zwar neu für Fritz, jedoch kein Ausdruck einer grundlegenden Transformation des bestehenden Orientierungsrahmens, sondern stärker die Konsequenz seiner gymnasialen Erfahrungen. So lässt sich hinsichtlich seiner passiven, abwartenden und angepassten Haltung gegenüber Schule und den familialen und schulischen Akteuren eine Kontinuität verzeichnen. Die Schulwechselentscheidung stellt aber eine glückliche Fügung für Fritz dar. Die Betrachtung und Einordnung des Übergangs findet vor der Hintergrundfolie der eigenen Schuldistanz statt. Es zeigt sich, je weniger fremder Schulstoff zu erwarten ist und je geringer die Leistungsanforderungen an einer Schule sind, umso eher ist diese anschlussfähig an seinen positiven Gegenhorizont, auch wenn es sich dabei „nur“ um eine erträglichere Fremde handelt. Daneben wird aber auch seine Orientierung an der äußeren Erwartung einer normalen ungebrochenen Schullaufbahn ohne Klassenwiederholung ersichtlich. Der schulische Wechsel selbst wird dabei nicht als Bruch erlebt und Statusverluste werden nicht thematisiert. Die Aussicht auf Entlastung, sowie eine Minderung der Bedrohung auf der Peerebene durch bekannte Peers führen somit zu einer undramatischen Sichtweise auf den schulischen Wechsel. Chancenpotentiale können sich dann eröffnen, wenn sich die positiven Antizipationen an der neuen Schule bewahrheiten, wenn Fritz einen abnehmenden Leistungsdruck verspürt und sich nicht mehr so überfrachtet sieht mit den, ihm fremden, Unterrichtsinhalten und schulischen Anforderungen. Auch vor dem Hintergrund der neuen eigenen Positionierung besteht eine Chance darin, an der weniger belastenden Schule einen eigenen Zugang zu Schule zu finden. Demgegenüber steht aber das Risiko, dass sich die weiterhin stark abzeichnenden Fremdheiten und fehlenden Enaktierungspotentiale auch an der neuen Schule fortsetzen und einen eigenaktiven Bezug verhindern. Ebenso lassen sich Chancen- und Risikopotentiale in Bezug auf seine zentrale Integrationsorientierung herausarbeiten. Gelingt ihm eine Umsetzung an der neuen Schule besser als am Gymnasium, können die Peerbeziehungen seine schulischen Bezüge stärken oder aber bei Leistungsschwierigkeiten auch kompensierend wirken. Ist dies nicht der Fall, so kann zur prinzipiellen Schulfremdheit auch noch diese entscheidende Dimension als belastender und bedrohlicher Aspekt der Schulkarriere hervortreten.

Die Veränderungen auf der Peerebene und die sich verstärkende schulische Fremdheit – Ergebnisse der 3. festen Erhebung

Über ein Jahr nach dem flexiblen Interview erfolgte die 3. feste Erhebungsphase, an der auch Fritz teilnahm. Dieses Interview konzentrierte sich thematisch auf seine Erfahrungen an der Sekundarschule. Dabei wird deutlich, dass der Peerzusammenhang, wie in den ersten Interviews auch, die zentrale Rolle spielt, was auf seine nach wie vor bestehende starke Peer- und vor allem Integrationsorientierung verweist. Auch auf der neuen Schule gestaltet sich die Integration in den Klassenzusammenhang schwierig und Fritz droht immer wieder, in seinem negativen Gegenhorizont der Marginalisierung und Ausgrenzung anzukommen. Die Peers an seiner Sekundarschule unterscheiden sich dabei deutlich von denen am Gymnasium, da bei ihnen den Unterricht störendes oder die Regeln der Schule konterkarierendes Verhalten hoch angesehen ist, während angepasstes, schulaffines und „nettes“ Verhalten abgelehnt wird und Konsequenzen der Nichtanerkennung nach sich zieht. Diese Konstellation setzt Fritz unter besonderen Anpassungs- und Bewährungsdruck, da er auf der anderen Seite nach wie vor die schulischen Regeln verbürgt und versucht den schulischen und familialen Erwartungen eines angepassten Schülers zu entsprechen. In Bezug auf seine Noten konnte er im ersten Schuljahr an der Sekundarschule eine deutliche Verbesserung verzeichnen, so dass die Zweien dominierten, während die Noten Vier bis Sechs vermieden werden konnten. Mit Beginn der siebenten Klasse, in der Fritz den Realschulzweig besucht und somit eine weitere zentrale schulische Selektionsschleuse durchläuft, verschlechtern sich seine Noten in vielen Fächern um einen Note, so dass nun die Dreien sein Zensurenbild prägen und auch eine Vier dazukommt. Der Übergang der siebten Klasse selbst gerät erst am Ende des Interviews in den Fokus, als der Interviewer eine Frage direkt darauf richtet. Er wird zuvor von Fritz nicht thematisiert. Es wird weiterhin ersichtlich, dass sich seine schulische Fremdheit verschärft und in eine Komplettablehnung einiger Fächer mündet. Die Veränderungen in den unterschiedlichen Bereichen sollen im Folgenden näher dargestellt werden, wobei wir den Prioritäten von Fritz folgen und auf der Peerebene beginnen. Fritz beginnt seine Erzählung mit einer Transformationsgeschichte, die sich auf die Beziehungsqualität zu den neuen Peers bezieht:

F: na also am anfang in der sechsten da fand ich eigent- noch all- also warn noch alle nett zu mir weil sie mich noch nicht kannten und es hat sich dann also schuljahr für schuljahr hat sich dann immer verbessert und jetzt haben wir ein gutes verhältnis miteinander ich bin auch hab mich auch selbst verändert merke ich
I: wieso
F: bin aggressiver.
I: mh du bist aggressiver (lacht) wie zeigt sich das
F: wilder also nicht mehr so nett jetzt bin ich wilder
I: bist (.) hm gibt`s da sone situation . fällt dir ne geschichte ein wo das so deutlich wird . dass du wilder geworden bist
F: mh nicht wirklich

Zunächst wird hier die hohe Bedeutsamkeit der Außenwahrnehmung durch die Peers erkennbar, während die Formulierung eigener Empfindungen und Einschätzungen abgebrochen wird („da fand ich eigent- noch all- also waren noch alle nett zu mir“). Dies verweist zum einen auf eine große Unsicherheit, soziale Beziehungen einzuschätzen, und zum anderen auf die zentrale Bedeutung der Me-Bilder des Peerbereichs für das eigene Selbstbild. Angesichts dessen lässt sich insgesamt auf eine ausgeprägte Außenorientierung schließen, die mit einem geringen Vertrauen in die eigenen Empfindungen und Einschätzungen bezüglich der anderen aber auch der eigenen Person einhergeht. Für diese Dimension des Orientierungsrahmens ist somit eine hohe Kontinuität zu verzeichnen. Vor diesem Hintergrund entwirft Fritz nun einen Transformationsprozess auf der Peerebene, der eine stetige Verbesserung der sozialen Beziehungen beinhaltet. Der zunächst positiv konnotierte Beginn dokumentiert dabei eher eine Bearbeitung und Entdramatisierung einer nicht so guten Ausgangssituation, die ein sehr distanziertes Peerverhältnis beinhaltet. Dies lässt sich auch anhand weiterer Textstellen (siehe unten) belegen. Aber auch die Verbesserung der Beziehung erscheint zunächst formal, da keine Detaillierungen oder Differenzierungen erfolgen. Die Veränderung in der Beziehungsqualität bringt Fritz nun im Anschluss thematisch in einen Zusammenhang mit der Zuschreibung eines eigenen Veränderungsprozesses (mit einer Veränderung der eigenen Person). Die Selbstattribuierung als „aggressiver“ und „wilder“ bezieht sich dabei auf Verhaltensweisen, die auf eine größere Wehrhaftigkeit aber auch auf bestimmte Regelverletzungen verweisen. Dabei zeigt sich jedoch, dass es Fritz schwer fällt, die eigene Selbstattribuierung mit tatsächlichen Verhaltensweisen zu untermauern. Angesichts dessen wird deutlich, dass Fritz vor dem Hintergrund seiner Integrationsorientierung versucht, an die positiven Gegenhorizonte der ihm fremden Peers anzudocken und sich diesen anzupassen, ohne ihnen wirklich zu entsprechen. Der Anpassungsdruck zur Vermeidung einer Randposition in der Klasse konturiert sich in der nächsten Passage sehr deutlich heraus:

I: wie kam das dass du anders geworden bist F: na weil die andern auch so warn … und ich wollt nich anders sein
I: hm .. versteh ich nich ganz . wie meinst du das
F: na na wenn die andern auch hier alle so wild und . verrückt sind da wollt ich nich alleine immer nur . am rand stehen
I: hm und wie hast du das gemacht . da du dich verändert hast
F: na ich hab einfach das gemacht was die gemacht ham ..
I: hm .. was machen die zum beispiel
F: ja .. im unterricht ma was machen .. und in n hofpause
I: mh und was
F: ja kippeln kaugummikauen und so was

Die prekäre Situation des Anfangs an der neuen Schule und die große Fremdheit gegenüber dem neuen Peerzusammenhang, deren Verhaltensweisen sich stark von seinen unterscheiden, treten hier sehr deutlich hervor. Auch wenn in seinen Ausführungen erkennbar wird, dass es sich um sehr kleine schulische Regelverstöße handelt, wird doch deutlich, dass abweichende, den Unterricht störende Handlungsweisen bei den Peers hoch angesehen sind. Dieses Verhalten möchte Fritz nachahmen, um nicht aus dem Rahmen zu fallen und dazuzugehören. Hierin kristallisiert sich noch einmal klar sein negativer Gegenhorizont einer Randständigkeit aus, den es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Der Preis der Zugehörigkeit ist in diesem Fall, zu jemandem werden zu müssen, der man eigentlich nicht ist. Dies stellt in seiner Schulzeit an der Sekundarschule eine große Drucksituation dar, welche sich zu Beginn der siebten Klasse noch einmal durch die Ankunft neuer Schüler verschärft, die ebenfalls diese Verhaltensweisen verkörpern und keine Integrationsprobleme bekommen. So zeigt sich im weiteren Verlauf, dass der Versuch der Anpassung noch nicht so lang zurückliegt:

I: und wann war das ungefähr wo du dich verändert hast was meinst du
F: anfang des jahres also dieses schuljahres
I: und warum jetzt erst […]
F: na weil jetzt neue schüler noch dazugekommen sind die waren auch so und da hab ich gedacht dass ich doch so sein will

Diese neuen Mitschüler führen Fritz die eigene Position in der Klasse noch einmal deutlich vor Augen, so dass er beschließt, ebenfalls so sein zu wollen, wie sie. Dadurch, dass es sich nicht um die eigenen Orientierungen handelt, sondern er an die Horizonte der fremden Peers anknüpft, fällt es Fritz schwer hier anzuschließen, so dass er eine Als-Ob-Haltung einnimmt, über die es ihm gelingt, ein Mindestmaß an Anerkennung zu gewinnen und die ganz schwierige Konstellation des ersten Jahres zu entschärfen. Diese Als-Ob-Haltung birgt dabei aber immer die Gefahr aufzufliegen, enttarnt oder aber auch ausgenutzt und vorgeschickt zu werden. Daneben gerät seine Anpassungsorientierung auf der Peerebene mit seiner Konformitätsorientierung in Bezug auf die Schule in Konflikt. In dieser Orientierung richtet er sich vor allem nach äußeren Erwartungen der Schule, Erwachsener allgemein und seiner Mutter im Besonderen. Ein Risikopotential liegt darin, zwischen diesen zwei äußeren Erwartungen zerrieben zu werden – der Erwartung des „good boy“ auf der einen und des „bad boy“ auf der anderen Seite. Bisher gelingt es ihm bisher aber über die Als-Ob-Haltung einerseits eine starke Randständigkeit zu vermeiden und andererseits ein Herausfallen aus dem schulischen Rahmen zu verhindern. Sein Bemühen, auch schulisch den äußeren Erwartungen zu entsprechen, wird auch in der Leistungssequenz erkennbar, in der sich jedoch gleichzeitig seine Schuldistanz Bahn bricht:

I: mh ähm erzähl mal wie du den unterricht hier an der schule erlebst
F: mh eigentlich gut äh na gut nicht immer aber meistens wenn ich zum beispiel was dran komm was ich nich so mag dann is schon blöd da ne ganze stunde zuzuhörn aber sonst geht´s

Fritz versucht zunächst wohlgeformt und entsprechend äußerer Erwartungen an einen guten Schüler zu antworten, was aber von der dominierenden negativen Sichtweise überlagert wird. Eine ganze Stunde lang passiv zuhören, impliziert eine Qual, dieser fremdbestimmten Situation beiwohnen zu müssen, zu der er selbst keinen Zugang findet. Hierüber zeigt sich eine deutliche Distanz gegenüber den frontalen Unterrichtsformaten aber auch den schulischen Inhalten bestimmter Fächer. Gleichzeitig lässt sich rekonstruieren, dass er auch an solche Fächer, die das nicht betrifft, kaum positiv anschließen kann, da die relativierende Charakterisierung „sonst geht`s“ ebenfalls eher auf etwas verweist, was geradeso ertragbar ist. Auch wenn hier keine oppositionelle Haltung erkennbar wird und Fritz sich nach wie vor den fremden Formaten beugt, so verweist die zunächst nicht gewollte, dann aber überraschend starke negative Bezugnahme auf den Unterricht auf eine Verschärfung oder stärkere Konturierung der Fremdheit und schulischen Distanz im Orientierungsrahmen. Diese konterkariert hier seine Orientierung an den äußeren Erwartungen von Schule und Familie. Eine nähere Bestimmung dessen lässt sich auch anhand weiterer Textstellen belegen:

I: was sind das für sachen die dich nicht so interessieren
F: mathe geschichte physik
I: ist das das ganze fach oder sind das nur einzelne sachen
F: das ganze fach
I: warum
F: einfach uninteressant

Drei zentrale Fächer benennt Fritz hier, die er insgesamt als vollkommen uninteressant charakterisiert. Dies geschieht in einer so hermetischen Form, dass deutlich wird, dass es für ihn diesbezüglich keine Ansatzpunkte oder Interventionsmöglichkeiten gibt, diesen Fächern jemals noch etwas abgewinnen zu können. Hier lässt sich eine feste Einstellung rekonstruieren, die eine komplette Ablehnung dieser Fächer beinhaltet, wodurch die schulische Distanz noch einmal sehr deutlich hervortritt. Solch klare Ablehnung von Unterrichtsinhalten hat es zuvor bei Fritz noch nicht gegeben. Wenn allerdings nach dem Kontrast zum Unterricht am Gymnasium gefragt wird, so kann er den Unterricht an der Sekundarschule positiv bilanzieren:

I: mh is der Unterricht hier anders als
F: ja
I: was is anders
F: manche lehrer die machen auch mal n spaß mit oder so aufm gymnasium da kann man ja nicht mitn lehrern spaß machen weil man ja dort lernen muss hier kann man auch mal n spaß machen

Damit wird der negativ besetzte Unterricht der Sekundarschule im Zuge eines Vergleichs mit dem des Gymnasiums positiv von diesem abgehoben. Diese Kontrastierung wird an vorhandene oder nicht vorhandene Spielräume im Unterricht gebunden, die ein Ausbrechen aus der Unterrichtsroutine und den strengen Frontalformaten für Schüler und Lehrer möglich machen. Dies wiederum wird an den Schweregrad und das Ausmaß des Lernpensums einer Schulform gebunden. Das Gymnasium verkörpert ein Übermaß an Schule und schulischen Inhalten, während an der Sekundarschule der Zwang zum Lernen nicht so groß ist und mehr Raum für außerschulische Aspekte im Unterricht eröffnet wird, die deutlich den positiven Gegenhorizont in Fritz‘ Orientierungsrahmen markieren. Fritz entwirft sich als Schüler, der nicht zur Schule und ihren Formaten passt. Im Spektrum der Schulformen sieht er aber die Sekundarschule als passender und erträglicher an, da diese in nicht so hohem Maße Schule repräsentiert, wie dies beim Gymnasium der Fall ist. Auch in Bezug auf die Noten bleibt seine Fremdheit bestehen, obwohl er sich im ersten Jahr an der Sekundarschule deutlich verbessern kann. So erhält er überwiegend Zweien und einige Dreien:

I: wie ist das für dich gewesen als du das erste mal hier an der schule noten bekommen hast
F: oh halt gut also dass ich gesehen hab dass es also besser ist als auf dem gymnasium
I: mh was heißt besser
F: na halt mehr ein zweien und so statt vieren und fünfen
I: kannst du dich noch an deine ersten noten erinnern
F: nö nisch mehr

Die ersten Noten an der Sekundarschule werden mit einer verhaltenen Freude eingeführt. Es wird eine Erleichterung aber keine Euphorie erkennbar. Fritz gelingt es zu Beginn der Zeit an der neuen Schule, seinem Normalitätsentwurf in Bezug auf Noten zu entsprechen, da er die negativ konnotierten Zensuren Vier und schlechter vermeiden kann. Gleichzeitig wird aber auch in der sehr allgemeinen und wenig emotionalen Darstellung deutlich, dass Noten keine herausragende Bedeutung für ihn besitzen und es ihm schwer fällt, einen subjektiven Bezug zu den fremdgesetzten Bewertungseinheiten herzustellen sowie die Bedeutung der Noten vollständig für sich zu erschließen. Daneben zeigt sich an anderer Stelle, dass sein diffuser Noten- und Leistungsbezug weiterhin stark durch den schulischen Bezug seiner Mutter und deren Erwartungen beeinflusst ist. Auf die Frage des Interviewers, was ihm bei der Rückgabe von Arbeiten durch den Kopf geht, antwortet er: „na was meine mutti sagt also […] na dass ich hausarrest kriege“. Es zeigt sich, dass Fritz‘ Mutter in Bezug auf die Schule immer mitdenkt und es vor allem der mütterliche Orientierungsrahmen ist, dem Fritz versucht zu entsprechen. Kontrastierend dazu verschärft sich jedoch, wie bereits oben eingeführt, seine Schuldistanz, was in der Thematisierung seiner jetzigen Noten ebenfalls zum Ausdruck kommt:

I: wie haben sich deine noten so entwickelt
F: naja bei manchen fächern da wurd es diesjahr nicht so gut also die ich schon vorhin genannt hab die fächer da war ich letztes jahr ein bisschen besser und da hab ich mich auch ein bisschen mehr angestrengt
I: und dieses jahr strengst du dich nicht an
F: doch aber ist nicht so mein ding
I: und was heißt das ist nicht so dein ding
F: is einfach ich weeß es liegt mit einfach nicht die fächer

Die Entwicklung der Noten wirkt fremd („wurd“) und wird nicht an die eigene Person gebunden. Die Erfahrung der Verbesserung im Übergang vom Gymnasium zur Sekundarschule kippt nun innerhalb des kurzen Zeitraumes von einem Jahr, so dass der Kontrast zum Gymnasium in der Tendenz relativiert wird. An anderer Stelle wird deutlich, dass Fritz sich in fast allen Fächern um eine Note verschlechtert, so dass nun die Dreien dominieren und er in Geschichte von der Zwei auf eine Vier rutscht. Die anfänglich guten Noten verknüpft er mit einem Mindestmaß an Anstrengung („bisschen mehr angestrengt“) im ersten Jahr an der neuen Schule. Die Verschlechterung bezieht er hingegen auf die Nichtpassung zu bestimmten Fächern. Die markante Formulierung „nicht so mein ding“ ist dabei fast metaphorisch und zeigt besonders deutlich die konturierter hervortretende schulische Fremdheit. Die Unzugänglichkeit und Nichtpassung zu diesen Fächern wird dabei zu einer Persönlichkeitsvariable stilisiert, die unverrückbar erscheint und jedwede Anstrengung aussichtslos werden lässt. Ein (entlastender) Zusammenhang mit der erneuten Selektionsschleuse in der siebenten Klasse – dem Besuch des Realschulzweiges – und eine daran gebundene Erhöhung der Leistungsanforderungen, wird nicht hergestellt. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass Fritz trotz dieser stärker hervortretenden Distanz versucht, den schulischen Anforderungen im Unterricht nachzukommen:

I: wie ist das hier für dich wenn du an die tafel gerufen wirst
F: na ich probiers einfach die aufgabe zu lösen aber es geht nicht immer also manchmal weeß ich`s auch gar nicht
I: und wie ist das wenn du es nicht weißt
F: na da probier isch halt einfach also ich tu so als ob ich`s weiß
I: wie machst du das denn
F: na ich guck vielleicht wenn vorne welche sitzen guck ich da manchmal rein oder so

Kann Fritz den äußeren Erwartungen nicht entsprechen, so greift er auch im schulischen Bereich auf eine Als-ob-Haltung zurück, die er zum Teil mit nicht erlaubten Mitteln versucht zu füllen. Dies hebt noch einmal die Bedeutung, der äußeren Erwartungen in Bezug auf die schulischen Leistungsanforderungen innerhalb seines Orientierungsrahmens hervor. Eine Veränderung ergibt sich jedoch im Umgang mit Situationen, in denen er den Anforderungen nicht nachkommen kann. Hier entwickelt er die Strategie, so zu tun, als könnte er den Anforderungen entsprechen, die aber immer auch von Enttarnung bedroht bleibt.

Die „Rückkehr in die erträglichere schulische Fremde“ – Fallspezifik der Schulkarriere von Fritz

Die Schulkarriere von Fritz ist durch zwei Schulwechsel gekennzeichnet – dem Besuch des fremd erscheinenden und mit hohen Belastungen verknüpften Gymnasiums und dem anschließenden Wechsel auf die Sekundarschule, die in den Augen von Fritz im Gegensatz zum Gymnasium eine „normale“ Schule darstellt. Vor dem Hintergrund seiner schulischen Fremdheit ist besonders die Zeit auf dem Gymnasium durch große Passungsprobleme gekennzeichnet. Aber auch an der Sekundarschule kann Fritz nur in einer erträglicheren schulischen Fremde „landen“. Die Probleme sowohl auf der Leistungs- als auch der Peerebene müssen aufgrund fehlender Enaktierungspotentiale bearbeitet werden. Diese zum Teil verschleiernden Bearbeitungsformen (z.B. Verallgemeinerung und Beschönigung, Imagination einer Vollintegration) verhindern wiederum eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den eigenen Schwierigkeiten. Die schulisch relevanten Entscheidungen werden von seiner Mutter getroffen, welche die Bildungsanwaltschaft für seine Schulkarriere übernimmt. Fritz beugt sich dieser Fremdbestimmung passiv, ohne dass eine eigene Auseinandersetzung mit den schulischen Optionen zu entdecken ist. Die siebente Klasse und der Wechsel auf den Realschulzweig wird für Fritz vor allem über indirekte Begleiterscheinungen relevant – zum einen durch die neuen „schuloppositionellen“ Peers und zum anderen durch eine Verschlechterung seiner Leistungen, die er nicht mit dem erneuten schulischen Übergang, sondern mit einer eigenen Nichtpassung in Verbindung bringt. Der individuelle Orientierungsrahmen von Fritz kennzeichnet sich auf der einen Seite durch eine passive schulische Konformitätshaltung, die sich aus einer Orientierung an äußeren und besonders familialen Erwartungen speist, und einer schulischen Fremdheit auf der anderen Seite. Diese Orientierungen fassen wir als „Habitus der Spannung zwischen Bildungskonformität und Bildungsfremdheit“ (vgl. Helsper u.a. 2009). Darüber hinaus charakterisieren sich seine habituellen Orientierungen durch seine zentrale Peerintegrationsorientierung, die auch deshalb so dominant ist, weil er hier immer wieder große Schwierigkeiten hat, seine positiven Gegenhorizonte umzusetzen. Auch wenn sich insgesamt eine Kontinuität seines Orientierungsrahmens abzeichnet und keine grundlegenden Transformationen ersichtlich werden, so kommt es doch zu leichten Verschiebungen innerhalb des Orientierungsrahmens und damit in den Gewichtungen und Relationen der Orientierungen zueinander. Eine Veränderung zeichnet sich in der Bedeutungszunahme der Orientierungen an den Peers ab, die zuvor nicht so stark zu finden war. Des Weiteren wird eine schrittweise Zunahme der schulischen Fremdheit und einer Passungsproblematik ersichtlich, die sich besonders mit der siebenten Klasse noch einmal deutlich verschärft. Dies zeigt sich vor allem darin, dass eine Nichtpassung in Bezug auf einige zentrale Fächer entworfen und bereits in die Form eines eigenen Persönlichkeitsmerkmals gegossen wird („das ist nicht mein ding“). Dies verhindert, dass mögliche eigene Interventionen überhaupt noch in den Blick genommen werden bzw. in hohem Maße sinnlos erscheinen, so dass Fritz seine Schullaufbahn resignativ und aufgrund fehlender Enaktierungen gesteigert passiv durchläuft. Diese erstarkende schulische Fremdheit gerät in Spannung zu seiner Orientierung an äußeren Erwartungen an eine normale Schullaufbahn. Insgesamt konturiert sich das Bild eines Schülers, der zwar versucht den schulischen Erwartungen nachzukommen, der aber faktisch jemand ist, der Schule mehr oder weniger nur erträgt und keinen Zugang mehr zu schulischen Inhalten findet. Die Konformitätsorientierung sichert Fritz zwar weiterhin seinen schulischen Bezug und besitzt nach wie vor Bedeutung, dennoch wird der Spagat zwischen Schulfremdheit und Konformität immer schwieriger. Auch angesichts der Als-Ob-Anpassung an die „schulfernen“ Peers könnte die Konformitätsorientierung zukünftig stärker unter Druck geraten. Daneben birgt die Als-Ob-Haltung des „Aggressiven“ und „Wilden“ die Gefahr der Enttarnung und damit einer kompletten Ablehnung durch die Peers oder aber eines gesteigerten Druckes der Beweislast, dazuzugehören, die ihn schulisch in Bedrängnis bringen könnte. Gelingt es ihm hier jedoch, mehr Anerkennung unter den Peers zu gewinnen, so könnte dies für ihn einerseits Integrationschancen beinhalten, andererseits jedoch auch Risiken für die Schulkarriere bergen. Weitere Chancenpotentiale wären dann denkbar, wenn es etwa signifikante Andere auf der Peerebene (schulkonforme Peers) oder auch auf der Lehrerebene geben würde, die ihm einen Zugang zur Schule eröffnen oder zumindest seine Konformitätsorientierung stärken könnten. Diese sind allerdings bisher nicht in Sicht.

Fußnoten:

(1) An anderen Stellen des Interviews erzählt Fritz explizit von Problemen mit einigen Jungen seiner Klasse. Des Weiteren sind die Themenbereiche Integrationsverluste und -ängste im Interview von Fritz zentralthematisch (siehe Übergangspassage) und bestätigen diese Ableitungen.

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