Zu diesem Fall gehören die Falldarstellungen:

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Rekonstruktion der Schulleiterrede Schule A Schulisches Werben um Exklusivität: Die Verbürgung des traditionsreichen Bildungsortes durch die Familie

Bei Schule A handelt es sich um ein traditionsreiches Gymnasium in einem städtischen Gebiet in Ostdeutschland. Seine Wurzeln reichen bis in das 17. Jahrhundert zurück; es steht in altsprachlicher, christlicher Tradition. Bereits früh profilierte es sich in sprachlichen und musischen Fächern und genoss national und international zunächst großes Ansehen. Schüler aus weit entfernten Regionen und aus dem Ausland wurden von ihren Eltern in diese Schule geschickt, die sich einerseits als weltoffen gab, andererseits vom strengen Internatsleben geprägt wurde. Gerade letzteres führte ab Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer Krise und die Schülerzahlen entwickelten sich rückläufig. Eine Reihe von Strukturreformen (die Lockerung der strengen Regularien betreffend) brachte der Schule schließlich wieder mehr Ansehen und die Schülerzahlen wuchsen wieder, was neben dem Ansehen auch Folge der Verstädterung und dem Anwachsen der ostdeutschen Großstadt war. Das Schulgebäude, das erst einige Jahre nach der Gründung erbaut worden war – zuvor hatte der Unterricht in Wirtshäusern und Wohnstuben stattgefunden – wurde nun zu klein, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezog die Schule ein neues Gebäude, das jedoch im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurde. Im Dritten Reich büßte Schule A ihre Profilierung wesentlich ein, die christliche Orientierung musste ganz aufgegeben werden. 1946 wurde sie zur Oberschule und schließlich in das Einheitsschulsystem der DDR integriert.

Seit der Wiedervereinigung 1991 knüpft das Gymnasium wieder an die ursprüngliche Tradition der sprachlichen und musischen Orientierung an. Heute umfasst die in der Innenstadt liegende Schule drei langgestreckte renovierungsbedürftige Gebäude aus der Zeit um die Jahrhundertwende, die um einen sehr gepflegten begrünten Pausenhof liegen, und ein Internatsgebäude für Schüler von außerhalb. Um an die Schule zu kommen, müssen sich die Schülerinnen und Schüler einem Leistungstest unterziehen, es gibt Musik- und Sprachklassen. Darüber hinaus unterhält die Schule zahlreiche Kontakte zu Schulen innerhalb und außerhalb Europas. Sie präsentiert sich zudem mit der regen Teilnahme an Wettbewerben, Austauschprogrammen und Forschungsprojekten im In- und Ausland.

Die Rede des Schulleiters zur Begrüßung neuer Schüler beginnt wie folgt.

(anhaltendes stimmengewirr)
SL: liebe schülerinnen und schüler (abebben des stimmengewirrs), sehr verehrte eltern

Die Schulleiterrede beginnt aus einer diffusen sozialen Situation heraus: Stimmengewirr und Redebeginn überlagern sich, einzelne Akteure sind noch nicht konturierbar. Erst mit dem „liebe schülerinnen und schüler“ tritt (zumindest im Protokoll) ein Sprecher als konturierbar heraus und setzt einen deutlichen Markierer. Da das Stimmengewirr hier jedoch noch anhält, kann angenommen werden, dass hier jemand versucht, eine Strukturierung vorzunehmen, indem er sich selbst als Markierer setzt. Die Anrede der Schülerinnen und Schüler mit ‚liebe’ suggeriert Vertrautheit, Nähe oder ein Hierarchiegefälle und steht damit in den ersten beiden Fällen für Vergemeinschaftung oder die Anrede von Personen, die hierarchisch ‚unter’ dem Redner stehen. Da hier mit Schülerinnen und Schüler Kinder angesprochen werden, gehen Vergemeinschaftung und Hierarchie miteinander einher. Darüber hinaus wird hier eine Erwartungshaltung an alle Schülerinnen und Schüler (so heterogen sie auch sind) gestellt, gleichermaßen ‚lieb’ zu sein. Auch wenn sich hinter der Anrede eine der wenigen kulturell verbürgten Möglichkeiten verbirgt, eine Menge Kinder gleichzeitig anzusprechen, fällt die Verbindlichkeit des „liebe“ besonders im Kontrast zu der unverbindlicheren und informalisierteren Adressierung mit „hallo kinder“ auf. Irritierend ist jedoch die Überlagerung von Stimmengewirr und der Anrede der Schülerinnen und Schüler.

Je mehr es sich dabei um einen gezielten Anlass handelt, der eine gewisse Feierlichkeit vermittelt, um so mehr würde eine nicht vorgenommene Strukturierung irritieren, denn dann muss man damit rechnen, dass die Eröffnungsfigur misslingt, dass der Anfang als solcher nicht anfängt, weil er noch überlagert wird durch die informelle Situation. Die Überlagerung von Stimmengewirr und Redebeginn verweist also darauf, dass entweder ganz feierliche und zeremonielle Anlässe ausgeschlossen werden müssen oder dass das Rituelle, Zeremonielle bzw. Feierliche sich hier in einer Krise befindet, da keine dramaturgische Planung vorliegt und kein Markierer die Ansprache des Sprechers rahmt (Schlagen ans Glas, gemeinsames Lied, o.ä.). Die Performanz, der hier Ausdruck verliehen wird, arbeitet folglich mit minimalen Effekten.

Die Anrede als Schülerinnen und Schüler differenziert die weibliche und männliche Form einer institutionenbezogenen Rollenförmigkeit, spricht also nicht die ganzen Personen, sondern nur ein Segment von ihnen an. Dabei findet sich in der Anrede der Versuch einer positiven Zuwendung, der gleichzeitig standardisiert ist.

An dieser Stelle kann eine erste, riskante Strukturhypothese formuliert werden: Mit der Anrede „liebe schülerinnen und schüler“ handelt es sich um eine Ansprache, die mit einem minimalen Markierer auskommt, um bei einem schulischen Anlass Schülerinnen und Schüler auf einen Vergemeinschaftungszusammenhang zu verpflichten. Dieser muss durch eine spezifische Vorstellung von „lieben schülerinnen und schülern“ gekennzeichnet sein. Gebrochen wird diese Konstruktion durch das während der Adressierung der Schüler noch anhaltende Stimmengewirr. Je herausragender nun der Anlass für die Schüler ist, desto brüchiger wird damit der Vergemeinschaftungsanspruch, möglicherweise ist hier sogar die weitreichende Annahme zulässig, dass die Überlagerung von Stimmengewirr und Ansprache der Schüler in Kauf genommen wird, damit es schließlich, bei den ‚eigentlichen Adressaten’ ruhig ist. Die Anrede „liebe schülerinnen und schüler“ wäre dann als formale Bezugnahme auf die Schüler zu werten, die brüchige Vergemeinschaftung würde darauf verweisen, dass die Schüler als Aufmerksamkeitsmarkierer instrumentalisiert werden. Das Abebben des Stimmengewirrs unterstreicht diese Lesart. Es ist hier also gar nicht so wichtig, ob der „Vergemeinschaftungszusammenhang“ zutrifft, sondern vielmehr dient diese Formalität als Vehikel, um zum Eigentlichen vorzudringen.

Das Eigentliche finden wir nun bei den „sehr verehrten eltern“, womit auf eine andere Statusgruppe verwiesen wird. Dabei scheint die Anrede „sehr geehrte“ nicht auszureichen, denn die „Verehrung“ bedeutet eine Steigerung der „Ehrung“. Ist vorstellbar, dass mit der Anrede „sehr geehrte“ auch Statusgleiche angesprochen werden, impliziert die Anrede „sehr verehrte“ (oder „hochverehrtes Publikum“ etc.) immer auch eine Verneigung vor denen, die angesprochen werden. Die Differenzen zum „sehr geehrte“ sind sehr fein, denn wenn jemand mit „verehrte“ angesprochen wird, heißt das noch nicht, dass er/sie auch verehrt wird. Das bedeutet, dass hier auch eine strategische Verwendung vorliegen kann und der Sprecher um die Gunst der Adressaten zu werben sucht. Üblicherweise werden mit „sehr verehrte“ potenzielle Sponsoren, ein Publikum, Honoratioren, usw. angesprochen – also Personen, die ‚strategisch’ verehrt werden. „Sehr verehrte eltern“ verweist schließlich auf eine Haltung gegenüber den Eltern, in der den Eltern ein Platz zugewiesen wird, der (wenn auch strategisch) über dem des Redners angesiedelt ist. Dabei kann es sich beispielsweise um eine Elternschaft handeln, die besonders wichtig für die Schule ist, da es sich um potenzielle Förderer und Gönner der Schule handelt (finanzkräftige Elternschaft). Den Eltern soll auf besondere Art vermittelt werden, dass es wichtig ist, dass sie ihre Kinder auf diese Schule schicken.

Die strategische Verwendung und Bezugnahme auf die Eltern im Kontrast zu der gebrochenen Vergemeinschaftung der Schüler, stellt damit die Eltern in den Mittelpunkt. Dass dennoch die Schüler im Rahmen der Veranstaltung an den Anfang gestellt werden, verweist darauf, dass sie eine Zentralstellung haben müssen (z.B. Einschulungsfeier), dieser jedoch nur formal Rechnung getragen wird. Der Redner versucht sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: er gewährt den Schülerinnen und Schülern formal die Position, die ihnen zusteht, nutzt diese jedoch als Aufmerksamkeitsmarkierer in seiner Rede, um sicherzustellen, dass er, wenn er bei denen ankommt, die ihm wirklich wichtig sind (deren Aufmerksamkeit er eigentlich erregen will), die Aufmerksamkeit auch wirklich hat. Es handelt sich damit um eine strategische (ökonomische) Nutzung derer, die ohnehin formal im Mittelpunkt stehen und eine Zentrierung derer, die wegen der im Mittelpunkt Stehenden anwesend sind und aufgrund der Besonderung, die dieser Tag für ihre Kinder hat, aufhören zu sprechen. Hier ist eine spezifische Beziehung der Eltern zu ihren Kindern vorausgesetzt, was sich auch darin erweist, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrer rollenförmigen Beziehung zur Institution angesprochen werden, die Eltern gerade nicht rollenförmig angesprochen werden, sondern in der diffusen Beziehungsqualität, die sie zu den Schülerinnen und Schülern haben.

Die Eltern werden jedoch nicht vergemeinschaftet (wie das mit ‚liebe Eltern’ der Fall wäre), sie stehen außerhalb des schulischen Zusammenhangs und sind dazu da, um den Schülern den Schulbesuch zu ermöglichen und die Schule zu unterstützen. Mit der Differenzierung der Rollenförmigkeit (Schülerinnen und Schüler werden nur in ihrer Rolle in Beziehung zu Schule gesetzt, Eltern als ganze Personen in diffuse Beziehung zu Schülerinnen und Schülern) wird nicht nur ein Normalmodell von Familie eingeführt, sondern – in einer weitreichenden Interpretation – eine spezifische Beziehungsqualität zwischen den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern als eine Vorbereitung für die Schule angenommen.

Wie im Folgenden weiter mit der Differenzierung umgegangen wird, geht aus dem Anschluss hervor:

(anhaltendes stimmengewirr)
SL: liebe schülerinnen und schüler (abebben des stimmengewirrs), sehr verehrte eltern, ich darf euch beziehungsweise sie recht herzlich hier in der schule a (traditioneller Name für ein Gymnasium) begrüßen

Mit dem „ich darf“ thematisiert der Schulleiter sich selbst als zentraler Akteur des Geschehens und nimmt damit einen Gastgeberstatus ein. Gleichzeitig dokumentiert sich hier seine eigene Verwobenheit mit der Institution: er hebt seine Person noch einmal explizit hervor. Dabei ist zu beachten, dass er zuerst die eigene Person heraushebt, durch die Geste des „Dürfens“ an einen Legitimationshintergrund bindet. Es wird deutlich, dass der Sprecher nicht ohne die Bezugnahme auf das Kollektiv auskommt, in der Form, in der er sich aber darauf bezieht, artikuliert er die Besonderung seiner eigenen Person. Er führt einen Legitimationskontext ein, der von ihm selbst bestimmt verwaltet wird. Indem der Sprecher in dieser Form formuliert, dass er ‚darf’, kann es sich auch um eine strategische Ummantelung seiner Machtposition handelt, die er in Höflichkeit einkleidet und damit sein Souverän artikuliert.

In der Wendung „euch beziehungsweise sie“ reproduziert sich nun die Struktur der anfänglichen Gewichtung der Anrede: der Schulleiter bekundet restriktiv begrenzte Optionen („ich darf“), die er in Bezug auf die Schüler „beziehungsweise“ die Eltern hat. Mit dem Wort „beziehungsweise“ korrigiert er die Bezugnahme auf die Schüler und stellt die Eltern in den Vordergrund, denn das dem „beziehungsweise“ nachgelagerte Wort ist immer als das zu betrachten, das auch ohne das vorgelagerte auskommt, während eine Aussage ohne Probleme ohne das Wort auskommt, das vor dem „beziehungsweise“ steht. Der Schulleiter setzt Eltern und Schüler damit nicht gleich, indem er sie etwa mit „und“ verbindet, sondern erhebt die letztgenannten zu denen, die in der Situation wichtig sind.

Die Verwendung des Begriffspaares „beziehungsweise sie“ scheint hier insofern schlüssig, als damit die Struktur der anfangs vorgenommenen Differenz aufrechterhalten wird. Damit distanziert sich der Schulleiter davon, mit den Schülern etwas zu machen, was er mit den Eltern macht: nämlich sie zu begrüßen – und entthematisiert auf diese Weise den Eintritt der Schüler in die neue Schule so weit, dass sie hier nur noch als Kinder ihrer Eltern Bedeutung besitzen.

An dieser Stelle kann die riskante Strukturhypothese erweitert werden: Die Feierlichkeit der Begrüßung der Neuen ist nur minimal. Die Überlappung des Stimmengewirrs und der Adressierung sprechen vielmehr dafür, dass die Feierlichkeit hier für die Schüler kaum thematisch ist. Die Adressierung der Schüler wird vielmehr als Markierer genutzt, um die Eltern zu begrüßen, die Schüler selbst damit instrumentalisiert um ‚durch sie’ zu den Eltern zu gelangen. Diese Struktur setzt sich fort und so wird die Veranstaltung, bei der erwartbar wäre, dass die Schüler die Adressaten sind, in eine Veranstaltung für die Eltern transformiert. Zugleich sind aber die Eltern nicht integriert, denn sie werden nicht wie die Schüler vergemeinschaftet. Dies spricht für eine Schule, die die strukturelle Trennung zwischen Elternhaus und Schule sehr stark in den Vordergrund stellt. Hier kommt eine Paradoxie zum Ausdruck: der Sprecher kommt nicht an den Schülern vorbei, um zu den Eltern zu gelangen. Die eigentlich Interessanten sind für ihn in diesem Rahmen jedoch die Eltern. Daraus kann umgekehrt geschlossen werden, dass die Schüler hier keinen Eigenwert besitzen, sondern erst durch die Eltern zu dem werden, was sie sind. Damit ist ein Milieubezug hergestellt, um den der Sprecher gleichsam buhlt („ich darf“). Die Schülerinnen und Schüler werden instrumentalisiert, um die Gunst der Eltern zu erwerben. Neben dieser Instrumentalisierung verweist auch der Gestus der Verehrung und des „Dürfens“ auf einen strategischen Umgang mit Positionierung und Gunst. Die Einschulungsfeier bekommt somit die Konnotation einer Werbekampagne, deren Adressaten die Eltern sind.

Die Motivierung für das Werben um die Eltern kann bei einem Anlass wie der Begrüßung der Schüler dadurch erklärt werden, dass die Eltern eine besondere Bedeutung für den Schulleiter und die Schule haben, die die Schülerinnen und Schüler nicht verbürgen können und die zugleich die Besonderung der Institution markiert. An welchen Schulen sind die Eltern von so enormer Wichtigkeit, dass sie die Besonderung der Schule gewährleisten?

Es kann sich dabei nicht um Schulen handeln, die besonders kindzentriert sind und auch nicht um Schulen, die aufgrund pragmatischer Zugangsbedingungen gewählt werden (z.B. der Nähe zum Wohnort). Vielmehr muss es sich um eine Schule handeln, in der das Elternhaus etwas garantieren kann, was die Schule benötigt, um ihre Besonderung behaupten und erhalten zu können. Denkbar sind hier bestimmte Haltungen der Eltern, bestimmte Milieus, die durch ihr ökonomisches und/oder kulturelles Kapital die Besonderung verbürgen können. Wenn die Schule dies aber nicht selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen kann, sondern dazu die Eltern benötigt, zeigt sich darin gerade die Krise der eigenen Besonderung.

Die Wendung „recht herzlich hier an schule a begrüßen“ verweist nun auf eine eingeschränkte Herzlichkeit („recht herzlich“), was bedeutet, dass hier keine weitreichenden, emotionalen Übergriffe stattfinden, womit wiederum die formalen Bedingungen der Situation und die Beziehungsförmigkeit der Begrüßungssituation in der Spannung gehalten werden. Dass der Sprecher nach dem „hier“ (also der Vorortung) den Namen der Schule nennt, scheint zunächst recht ungewöhnlich, da er, wenn er die Eltern und Schüler vor sich sitzen hat, davon ausgehen kann, dass sie wissen, um welche Schule es sich handelt. Wenn die Schule dennoch beim Namen genannt wird, bezeichnet der Sprecher sie quasi von außen. Dies verweist auf die Bedeutsamkeit, die sich nach außen mit dem Namen und Ort der Schule verbinden soll und die sich auch für die Eltern, die ja als ‚sehr verehrte’ nicht in die Schule eingemeindet werden, mit Namen und Ort der Schule verbinden soll. Die Bedeutung der Schule wird damit durch den traditionellen Namen ‚angepriesen’ und Schule wird zu einem sozialen Ort mit Geschichte. Auf diese Weise wird sie als traditionsorientierte höhere Bildungsanstalt in der Hierarchie der Bildungslandschaft positioniert und für Personen, die an dieser Schule partizipieren entsteht der Anspruch, sich auf Traditionsträchtigkeit und das Erziehungsprogramm, das mit dem Namen der Schule in Verbindung gebracht wird zu beziehen.

Die bereits strukturhypothetisch gefasste ‚Einordnung’ in eine Hierarchie und das vom Sprecher artikulierte Statusbewusstsein lassen darauf schließen, dass mit dem „hier an der schule a“ die Besonderung der Schule thematisch werden soll. Dies könnte dadurch begründet sein, dass er daran zweifelt, dass alle Anwesenden dieses Statusbewusstsein internalisiert haben, er es aber zur Bedingung gemeinsamen Handelns macht, indem er die Bewusstmachung des Ortes inszeniert. Die Berufung auf die Tradition kennzeichnet das mit dem Schulnamen eingeführte Gymnasium nicht als ‚moderne’ Schule. Die in diese Schule mit ihrer langen Tradition Eintretenden treffen folglich auf ein Bedingungsgefüge, mit dem sie umgehen müssen (sie befinden sich auf einem Terrain, das von Exklusivität und ‚Altehrwürdigkeit’ gekennzeichnet ist), dem sie aber auch gerecht werden müssen. Der Sprecher verbürgt sich mit seiner Person für diese Tradition und Exklusivität, schafft quasi die Aura eines ganz besonderen Ortes. Indem die Namensnennung der Schule hier sehr früh in der Rede erfolgt, folgt eine starke Bezugnahme auf einen Gründungszusammenhang. Insgesamt wird mit der Artikulation und der Fokussierung auf die Exklusivität jedoch deren Krise deutlich, denn um die Eltern muss geworben werden, sie sind also nicht selbstverständlich Bürgen für die Exklusivität, ihnen muss erst gesagt werden, an welch ehrwürdigem Ort sie sich befinden. Gleichzeitig sollen sie als Eltern, die ihre Kinder in diese Schule schicken, die Besonderung gewährleisten. Die mit dem Namen der Schule erwähnte Besonderung wird dabei mit dem Sprecher durch seine gesamte Erscheinung repräsentiert.

Auf der Ebene der Generationsbeziehungen müssen wir schließlich von einer brüchigen Beziehung zu den Schülern ausgehen. Die Schüler werden instrumentalisiert, weil über sie die Eltern als Ermöglicher des Erhalts der Tradition, erreicht werden können. Die Schüler verbürgen die Legitimationsfunktion dafür, dass sich der Sprecher an die Eltern wenden kann, die wiederum das Passungsverhältnis der Schüler zur Schule verbürgen. Damit wird eine Generationsordnung gesetzt, die auf eine Strukturierung durch Distinktion gerichtet ist. Es kann gefolgert werden, dass die Schülerinnen und Schüler vor allen Dingen als Kinder ihrer Eltern gesehen werden und nicht als eigenaktive handlungsfähige Subjekte.

Die Vorbereitung für und Begleitung in den schulischen Bezugsrahmen findet über die Eltern statt. Gleichzeitig werden damit die Schülerinnen und Schüler als Kinder in einem sehr traditionellen Selbstverständnis gedeutet: nämlich als Menschen, die noch nicht etwas Spezifisches sind, was die Eltern jedoch bereits darstellen und verbürgen.

Die Aufnahme von Beziehungen zu den Schülerinnen und Schülern geschieht aus einem instrumentellen Zweck. Durch sie kann der Schulleiter die Eltern ansprechen. Er tut dies, indem er die Eltern hofiert und um ihre Anerkennung wirbt. Als „Gegenleistung“ für die elterliche Anerkennung und Gewährleistung „bietet“ er den Namen und Ort der Schule an. Beides steht für Tradition und ein weit zurückreichendes, traditionelles Bildungsprogramm.

Der Anspruch auf das, was die Eltern nun verbürgen sollen, hängt also mit der Tradition zusammen, die sich nun gleichzeitig als krisenhaft erweist, denn sie muss ja erst von außen in die Schule hineingetragen werden. Das bedeutet, dass die hier eingeführten exklusiven Bildungsansprüche, die Orientierung an Distinktion und Differenz sowie das Werben um die Eltern mit Altehrwürdigkeit und Tradition darauf schließen lassen, dass hier Elternhäuser angesprochen werden sollen, die sich ebenfalls an Traditionen orientieren, wie sie zum Beispiel in bürgerlichen Bildungsentwürfen vorhanden sind, und dass sie ihre Kinder auf einer exklusiven Schule wissen wollen, deren Name zumindest programmatisch für dieses Ideal steht.          Viel mehr als den programmatisch verbürgenden Namen kann der Schulleiter nun auch nicht bieten, wie im folgenden, an die Begrüßung anschließenden Abschnitt, deutlich wird:

(anhaltendes stimmengewirr)
SL: liebe schülerinnen und schüler, sehr verehrte eltern, ich darf euch beziehungsweise sie recht herzlich hier in der schule a begrüßen, wir sind uns ja alle schon ein bis zweimal begegnet zum beispiel am tag der offenen tür und äh wir hatten auch, die freude die eltern in den schönen f.-saal vor ein paar monaten begrüßen zu können, wir befinden uns natürlich heute hier in unserer etwas ‚ramponierten‘ (betont gesprochen) aula wir haben leider noch keinen geldgeber für die restaurierung dieser aula gefunden und ((äh nur)) mit ein bisschen farbe ist es hier nicht getan sondern eine restaurierung würde sich auf zwei millionen mark belaufen und die haben wir zurzeit noch nicht

Nach der Benennung von Orten der gemeinsamen Begegnung, die sich wiederum vor allem als Begegnungen mit den Eltern herausstellen, erwähnt der Schulleiter den Gegensatz vom „schönen f.-saal“ und der „ramponierten aula“. Beim ‚schönen F.-Saal’ handelt es sich um einen außerhalb des Schulgebäudes in der Nähe liegenden Saal, der im klassizistischen Stil restauriert wurde und dessen Ambiente damit der vom Schulleiter anvisierten traditionsorientierten Repräsentativität steht. Der außerhalb der Schule liegende Saal, in dem die Eltern die Schule näher kennenlernten, verbürgt also das, was der Schulleiter für seine Schule beansprucht, die innerhalb der Schule liegende Aula nicht. Sie und ihre bröckelnde Fassade stehen damit symbolisch für die bröckelnde Fassade der Exklusivität, für die sich nur auf die Tradition und den Namen der Schule berufen werden kann, was aber aktuell nicht mehr materiell durch die Schule verbürgt werden kann. Sie kann damit nur als gelöst präsentiert werden, wenn sich genügend Eltern, die in die Kategorie der Bürgen fallen, bereit erklären, ihre Kinder in diese Schule zu schicken.

Wenn der Schulleiter dies als Eröffnungssituation präsentiert und damit die umworbenen Eltern zu Bürgen für Exklusivität und Traditionserhalt werden, dann ist zu vermuten, dass die Eltern um des Statuserhalts willen dazu aufgerufen werden, als Eltern der Schüler dieser Schule dazu beizutragen, dass die Schule ihr repräsentatives Erscheinungsbild wieder erhält und ihre Kinder damit in einer Umgebung lernen, die umfassend für Exklusivität und Traditionsorientierung steht. Um dies realisieren zu können, ist jedoch die Voraussetzung, dass die Eltern den Kindern bereits ein Bewusstsein über die Exklusivität einer solchen Schule vermittelt haben.

Das Versprechen gelungener und traditioneller Bildung kann also nur umgesetzt werden, wenn die Elternhäuser den Schülern ein spezifisches Bewusstsein vermitteln, der Schule zu repräsentativem Glanz verhelfen und schließlich so dazu beitragen, dass ihre Kinder die exklusiven Bildungsangebote nutzen, damit sie schließlich ‚höchste Bildung’ durch diese Schule erreichen. Dies wird besonders in folgender Textstelle deutlich:

wir haben ein reiches kulturleben darf ich mal behaupten das hängt etwas auch mit unserem sprachenprofil und unserem musikprofil zusammen äh in den jüngeren klassen wirds noch nicht so furchtbar viel reisetätigkeit geben=natürlich die äh ganz normalen wanderfahrten und auch schonmal eine äh ‚ein spaziergang‘ (lauter gesprochen) an einem tag, ausflüge undsoweiter kleinere exkursionen aber spätestens so ab klasse neun zehn setzt dann doch eine umfangreiche reisetätigkeit der Schule Aschüler ein ((und die die finden soviel gefallen daran)) äh dass sie dann ((noch)) in der oberstufe kaum zu bremsen sind=dass hängt auch ein bisschen mit unseren kontakten zu äh ausländischen schulen zusammen, die musiker reist zum beispiel furchtbar gerne zu unsrer partnerschule nach sanktpetersburg, und äh wir haben dann auch für unsere russischschüler eine partnerschule in sanktpetersburg, die . englisch schüler reisen gerne nach amerika, und das kostet ja auch alles sehr viel geld, und äh ich würde jetzt schon an unsre neuzugänge appellieren, von nun an das sparschwein gut aufzufüllen, damit ihr dann so spätestens ab klasse zehn auch mal das ausland bereisen könnt

Der Schulleiter wirbt hier mit dem kulturellen Kapital der Schule: dem „reichen kulturleben“, das sich vor allem in den Auslandsreisen wiederfindet (also auch in Etwas, was außerhalb der Schule liegt) und das von den Schülerinnen und Schülern gewürdigt und in Anspruch genommen werden soll. Die versteckte Maxime „Reisen bildet“ knüpft an die Ideale früher bildungsbürgerlicher Tradition an: wir finden diese Überzeugung in Rousseaus Emile, bei Goethe, Jean Paul und auch Oskar Wilde (etc.), es ist auch ein Anknüpfen an die besondere Tradition und Profilierung der Schule seit ihren Anfängen in Bezug auf die Profilierung, die Weltoffenheit und die sprachlich-musische Orientierung. Das Versprechen des Schulleiters ruht hier in der Realisierung traditioneller Bildungsideale unter der Bedingung, dass die Schülerinnen und Schüler ihr „sparschwein füllen“ und dies ist ein Hinweis auf die notwendige finanzielle Unterstützung durch die Eltern und die Notwendigkeit des elterlichen Bewusstseins, das an die Kinder vermittelt wird und dem zur Folge das Sparschwein nicht etwa gefüllt wird, um Konsumgüter zu erwerben, sondern indem das erworbene und ersparte ökonomische Kapital in kulturelles Kapital umgewandelt werden soll.

Für die Schüler bedeutet dieser Entwurf nun, dass sie sich in das traditionsorientierte Erziehungsprogramm der Schule einordnen müssen, um die Weihen höchster Bildung zu empfangen. Dies wird ihnen auch während der Aufnahmefeier klar gemacht:

wir berufen uns in manchen dingen auf die dreihundert jahre alte tradition dieser einrichtung und eines gehört dazu das trifft euch heute schon in voller härte, die schüler müssen den müll den sie im pausengelände verbreiten selber entsorgen, äh un da wir am anfang des ‚schuljahres‘ (betont gesprochen) stehen äh ist es nun eine geflogenheit bei uns dass die neuen klassen sofort den auftakt bilden,

Am Anfang steht daher zunächst eine Geste, die die Schüler in Differenz zu den Erwachsenen und den anderen Schülern, die schon länger auf dieser Schule sind, setzt und die ihnen die richtige Einstellung zur Tradition vermitteln soll. Nicht die Tatsache, dass die Schüler hier sauber machen müssen, sondern dass dieser Dienst in Zusammenhang mit der dreihundert Jahre alten Tradition gebracht wird und aus der Tradition heraus der Dienst der Schüler begründet wird (und das Erziehungsideal hier nicht etwa als ‚Lernen von Verantwortung’ dargestellt wird) gibt Aufschluss über das Bild des Schülers, das hier entworfen steht. Die Schüler werden damit nicht nur angehalten, einen materiellen Beitrag zum Erhalt der Repräsentativität der Schule zu leisten, sondern in der ‚vollen Härte’, mit der sie diese Verpflichtung trifft, weil sie bei ihrem Eintritt vermittelt bekommen, dass sie ja noch ganz unten in der Hierarchie stehen, steckt ein Erziehungsideal von Demut und Tugendhaftigkeit, einer Haltung, wie wir sie vor allem in christlichen und pietistischen Bildungstraditionen finden.

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